BILD-Kulturen
19.11.2012
In diesem Jahr feierte die BILD-Zeitung ihren 60-jährigen Geburtstag. Kein anderes Blatt hat die Meinungslandschaft der Bundesrepublik so stark geprägt, wie diese Boulevardzeitung, die seit Jahrzehnten die höchste Auflage aller Tageszeitungen in Deutschland besitzt. Einerseits erhält BILD die meisten Rügen des Presserates, da sie ethische Standards, die an die Medienberichterstattung gerichtet werden, immer wieder verletzt. Andererseits gilt die BILD als Leitmedium, das so oft wie keine andere Zeitung zitiert wird. Sie ist ökonomisch erfolgreich und gleichzeitig umstritten. Eine Tagung an der Universität Erlangen nahm den runden Geburtstag der BILD zum Anlass, das Boulevardblatt kritisch zu würdigen. An der Debatte nahmen Medienwissenschaftler und Medienpraktiker teil.
In ihrer Einführung gab Prof. Dr. Johanna Haberer als Leiterin der Abteilung Christliche Publizistik der Universität Erlangen ein StimmungsBILD ab. Sie klassifizierte die Zeitung als intelligent gemachte Marke, die Grauen und Bewunderung auslöst. Einige Schlagzeilen kämen wie Schlagstöcke daher, anderer zeichnen sich durch ihren Humor aus. Die Theologin kritisierte den Sprachduktus der BILD, sofern verdächtigte Straftäter als Bestien und Monster bezeichnet werden. Darüber hinaus forderte sie, dass sich die Zeitung im Falle einer fehlerhaften Berichterstattung bei den Lesern entschuldigen solle.
Prof. Dr. Matthias Rath von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg beschäftige sich mit BILD-Kulturen. Er bezeichnete die Zeitung als Teil der bürgerlichen Öffentlichkeit und des medialen Kultursystems. Sie steht für eine hohe mediale Reichweite sowie ökonomischen Erfolg und profitiert von der grundgesetzlich verankerten Presse- und Meinungsfreiheit. Die Zeitung ist schrill und arbeitet mit Provokationen. Ihre politische Ausrichtung ist dabei stark vom Wirken der Chefredakteure von Peter Boenisch bis hin zu Kai Diekmann geprägt worden.
Die Theaterwissenschaftlerin Prof. Dr. Bettina Brandl-Risi von der Universität Erlangen erörterte das BühnenBILD zur medialen Meinungsbildung. Sie hob den hohen Inszenierungsgehalt als ästhetisierenden Vorgang innerhalb der Berichterstattung der Boulevardzeitung hervor. Auffällig ist die Simulation von Mündlichkeit durch die direkte Ansprache der BILD-Leser mit den Schlagzeilen. Diese Distanzverringerung dient als Strategie einer unmittelbaren Erfahrungsillusion. Dadurch kann eine unmittelbare Identifikation mit den Thesen des Blattes erreicht werden.
Prof. Dr. Christian Schicha von der Mediadesign Hochschule in Düsseldorf beschäftigte sich mit der BILDung durch Bilder. Er wies darauf hin, dass BILD als meistzitierteste Tageszeitung einen erheblichen politischen und gesellschaftlichen Einfluss besitzt. Sie arbeitet mit einer einfachen Sprache und initiiert politische Kampagnen. Die Blattmacher haben erkannt, dass die Priorität bei der Selektion von Reizen auf der visuellen Verarbeitung liegt. Es wird häufig mit Bildmontagen gearbeitet, die eine zusätzliche Aufmerksamkeit in Kombination mit markanten Schlagzeilen sichern. Abgebildet werden in erster Linie Prominente, die teilweise auch mit der Zeitung kooperieren. Aufgrund der zahlreichen Falschmeldungen der Bildzeitung sind Medienselbstkontrollinstanzen wie ‘bildblog.de‘ entstanden, die die Qualität der Artikel des Boulevardblattes kritisch begleiten und bewerten.
Der Medien- und Kommunikationsberater Dr. Wolfgang Storz skizzierte die Ergebnisse zweier BILD-Fallstudien zur Berichterstattung über die Griechenland- und Eurokrise 2012 sowie zur Affäre Wulff , die er im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung erarbeitet hat. Er bezeichnet BILD als politischen Akteur, für den die Reizmaximierung wichtiger ist als die journalistische Qualität. Die Erreichung von Aufmerksamkeit steht hierbei vor der Bearbeitung relevanter Themen. Insgesamt sieht er in BILD kein journalistisches Format, sondern ein Hybridprodukt, bei dem Werbung und Eigen-PR der Zeitung im Mittelpunkt stehen.
Der stellvertretende Direktor der Axel-Springer-Akademie Rudolf Porsch beschäftigte sich in seinen Ausführungen mit Impulsen der AusBILDung. Seine Akademie ist Deutschland modernste Journalistenschule, bei der jährlich 40 junge Journalisten ausgebildet werden. Etwa die Hälfte der Absolventen arbeitet im Anschluss bei der BILD-Zeitung. Von den Bewerbern, die in der Regel ein abgeschlossenes Studium vorweisen können, werden Talent und Leidenschaft für das journalistische Handwerk erwartet. Als Qualitätskriterien für den Journalismus bezeichnete Porsch die Kategorien Vielfalt, Relevanz, Aktualität, Verständlichkeit und Akzeptanz. Die Leserorientierung stellt in diesem Rahmen eine zentrale Vorgabe dar. In der Ausbildung spielt die investigative Recherche ebenso eine Rolle wie die Sensibilisierung für Möglichkeiten der Bildsprache.
Prof. Dr. Gabriele Godenbauer-Marchner von der Universität der Bundeswehr in München ging der Frage nach, was die Qualität einer Zeitung ausmacht. Als journalistische Qualitätskriterien benannte sie u.a. die Kategorien Wahrheit, Verständlichkeit, Objektivität und Verantwortung. Als ökonomische Qualitätskriterien wurden die Auflagenzahl, Einschaltquote und Reichweite benannt. Medien seien schließlich nicht nur ein Kulturgut, sondern auch ein Wirtschaftsgut. Um eine journalistische Qualität sichern zu können, ist eine optimale Ausbildung erforderlich, die die Möglichkeiten einer professionellen Recherche vermittelt. Zusätzlich sollte auch medienethische Kriterien wie Wahrheitsliebe, Fairness, Respekt und Redlichkeit geachtet werden. Für eine gute Zeitung sei zusätzlich ein Alleinstellungsmerkmal wichtig, das den Lesern Orientierung bietet.
Die Tagung in Erlangen lieferte insgesamt interessante Impulse zum Phänomen BILD aus den unterschiedlichsten Perspektiven. Trotz der verschiedenen interdisziplinären Zugänge zum Thema aus der Theorie und Praxis gab es an vielen Punkten Überscheidungen und anregende Ergänzungen bei den Vorträgen und Diskussionen.