Kompetenz oder Prominenz? Markenstrategien von Autoren auf der Frankfurter Buchmesse

21.10.2013

Die Buchmesse in Frankfurt steht im Spannungsfeld zwischen Kultur und Kommerz. Es geht primär darum, die eigenen Produkte, Thesen und Person optimal zu verkaufen. Hierbei gibt es unterschiedliche Möglichkeiten:


Frankfurter Buchmesse 2013

Prominenz

Boris Becker stellte seine Autobiografie „Das Leben ist kein Spiel“ vor. Gesprächspartner beim Verlag Herbig war sein Co-Autor Christian Schommers, mit dem er das Werk verfasst hat. Insofern findet eine Kritik am Werk natürlich nicht statt. Die Resonanz am viel zu kleinen Stand des Verlages ist gewaltig. Der Kampf um die wenigen Stehplätze führt zu einem Gedrängel und Geschupse. Die Journalisten der öffentlich-rechtlichen und privatkommerziellen TV-Anbieter halten ihre Mikrofone in die Luft. Es wird gedrängelt und fotografiert. Mehrere Bodyguards halten die Menschenmenge auf Abstand. Die Fans lichten Becker ab. Becker macht mit seinem Handy Bilder von den Fans. Der Co-Autor gibt ein Fernsehinterview. Endlich beginnt das Gespräch. Schommers stellt die erste Frage: „Warum dieses Buch?“ Daraufhin schlägt Becker vor, dass sich zu setzen. Nun ist er überhaupt nicht mehr zu erkennen. Becker wird von Schommers gesiezt, duzt aber zurück und betont, dass er mit ihm befreundet ist. Danach begrüßt er sein Frau Lilly, die hinter ihm sitzt. Endlich gibt es eine Antwort. Hinz und Kunz, so seine These, haben über sein Leben geurteilt und nun sei es an der Zeit, die eigene Sicht der Dinge klar- und richtig zu stellen. Dabei geht es ihm um Glaubwürdigkeit und Wahrheit. Diese Thesen werden in einem späteren Interview mit der ARD – diesmal mit einer richtigen Journalistin – zum Teil wortwörtlich noch einmal wiederholt. Das Interesse an der Autobiographie ist groß. Jeden Tag werden 2.500 Bücher verkauft. Becker hat eigenen Angaben zufolge Tag und Nacht an dem Buch gearbeitet. Für ihn war dieser „Seelenstiptease“ eine Art Therapie. Es handele sich jedoch ihn zufolge um kein Enthüllungsbuch. Die einen, so Becker, gehen zum Psychologen, die anderen schreiben ein Buch. Er wolle nicht um den heißen Brei herumreden. Schließlich gehe es um Menschen, die er liebt oder geliebt hat. Den deutschen Journalisten warf er vor, dass sie sich nach wie vor primär für seine jahrelang zurückliegenden Affären interessieren und sein geschäftliches und gesellschaftliches Engagement kaum zur Kenntnis nehmen. In England erhält er jedoch eine höhere Wertschätzung. Dort lebt und arbeitet er auch journalistisch und ist als Sportexperte für das Fernsehen tätig. Er bezeichnet sich selbst als „Workaholic“, der wie andere morgens in Büro geht und in häufig erst am späten Abend von der Arbeit kommt. Insofern war Becker sehr bemüht, sein nicht unumstrittenes öffentliches Image zu verbessern und gleichzeitig eine weitere Einnahmequelle zu generieren.

Dramatisierung

Thomas Grüter hat in seinem Vortrag die Thesen seines Buches „Offline“ mit dem reißerischen Untertitel „Das unvermeidliche Ende des Internet und der Untergang der Informationsgesellschaft“ in Frankfurt vorgestellt, das im Springer-Verlag erschienen ist. Darin wird die provokative These vertreten, dass die Informationsgesellschaft noch in diesem Jahrhundert zusammenbrechen wird.

Praxis

Der 21jährige Dominic Multener gilt der Verlagsankündigung von Gabal als „Marketing-Talent“ schlechthin. Bereits mit 16 Jahren wurde er Deutschlands jüngster Marketingchef beim Handelsblatt. Er hat u.a. BP, Evonic und Bertelsmann beraten und plädierte in seinen Ausführungen dafür, die Ecken und Kanten einer Marke herauszukitzeln, dabei unberechenbar zu agieren und sich von den Mitbewerbern abzugrenzen, um Erfolg zu haben. Er gelangt in seinem Vortrag zu der These: „Wissen ist scheißegal.“ Nur die gelungene Anwendung in der Praxis ist der Garant für den Erfolg.

Erfahrung

Mehr Lebenserfahrung als Multener hat der 79-jährige Helmuth Karasek. Er hat die Medien- und Literaturbranche in den letzten Jahrzehnten beobachtet und mitgestaltet. Er war Kritiker im Literarischen Quartett, hat zahlreiche Bücher, Kolumnen und Glossen geschrieben und schilderte mit einem ironischen Blick die Tücken des Alltags. Auf der Buchmesse hat er den Band „Frauen sind auch nur Männer“ vorgestellt, das bei Hoffmann und Campe erschienen ist. Seit 1960 besucht er die Buchmesse und schildert in lustigen Anekdoten, wie sich die Telefontechnik seither rasant verändert hat. Ohne Handy scheint es kaum noch möglich zu sein, sich zu verabreden. Es sei für viele Menschen inzwischen „schlimm“, ohne das eigene Smartphone auszukommen. Da wird ein leeres Telefon-Akku ohne eine Steckdose in Reichweite bereits von vielen als Katastrophe wahrgenommen.

Gesellschaftsdiagnose

Der Verleger der Wochenzeitschrift „Der Freitag“ Jakob Augstein plädiert in seinem im Hanser-Verlag erschienenen Buch „Sabotage: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen“ für eine Rückbesinnung auf normative Werte wie Gerechtigkeit, Demokratie, Freiheit und Öffentlichkeit. Er kritisiert den Finanzkapitalismus und fordert eine starke Bürgergesellschaft. Er geht davon aus, dass auch die Zeitung in Deutschland eine wirtschaftlich tragfähige Zukunft hat, da Medien durch andere Medien zwar ergänzt, aber nicht ersetzt worden sind. Den Tageszeitungen gibt er insgesamt aber weniger Chancen auf dem Markt zu bestehen, als den Wochenzeitungen.

Fazit

Alle Autoren haben es geschafft, auf der Buchmesse ihr Publikum zu erreichen.

Wer Interesse an intellektuellen Thesen zur Politik- und Medienentwicklung im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang hat, wurde von Augstein gut versorgt.
Wer gerne eine amüsante Rückschau auf die Medientechnik und das Rezeptionsverhalten des Publikums in den letzten fünfzig Jahren nehmen möchte, konnte den Anekdoten und Erinnerungen von Karasek lauschen.
Wer konkrete Hinweise zur optimalen strategischen Positionierung der eigenen Unternehmens- und Produktmarke benötigt, konnte sich mit den Vorschlägen von Multener beschäftigen.
Wer von einem dramatischen Ende der Informationsgesellschaft ausgeht und dafür noch passende Thesen sucht, fand entsprechende Hinweise in den Ausführungen von Grüter.
Wer Klatsch und Tratsch, das Gedränge bei Events und die Selbstdarstellung von Prominenten liebt, war bei Becker gut aufgehoben.
Insofern bot die Buchmesse auch in diesem Jahr eine breite Palette von interessanten Autoren und Ansätzen, die durch unterschiedliche Strategien ihr Publikum durch Selbstvermarktung und Nabelschau, sowie Imagepflege und echten Argumenten zu erreichen.