Der Hype um Pokémon Go

20.07.2016

Wenige Video- und Computerspiele erreichen so schnell eine breite Öffentlichkeit wie das am 06. Juli 2016 veröffentlichte Mobile-Game Pokémon Go. Schon wenige Tage nach der Veröffentlichung berichten alle Medien weltweit über das Spiel. Wir betrachten daher die Vielfalt der Berichterstattung zum Spiel und die unterschiedlichen Aspekte unter denen das Phänomen Pokémon Go in der Öffentlichkeit beleuchtet wird.

„Was machen die da um Himmels Willen?“, fragt Moderator Daniel Boschmann im SAT.1 Frühstücksfernsehen am 12.07.2016. Gezeigt werden Bilder von Pokémon Go-Spielern im New Yorker Central Park. Viele Personen schauen auf ihr Handy. Die Frage dürften sich viele Zuschauer stellen, in der Tat ist das Spiel für Außenstehende, die weder Erfahrung mit Pokémon-Spielen, noch mit sogenannten „location-based augmented reality games“ haben.

Um es kurz zusammenzufassen: Das Spiel nutzt die Kamera des Handys, um dem Spieler auf dem Handy Bildschirm die reale Welt zu zeigen und erweitert (bzw. augmentiert) diese, indem sie Kreaturen anzeigt, die sich auf dem Handybildschirm in die Umgebung einfügen. Dabei erscheinen die Pokémon nicht etwa zufällig sondern abhängig von realen Begebenheiten (d.h. ortgebunden bzw. location-based), z.B. erscheinen in der Nähe von Wasser andere Monster als auf einer Wiese.


Abbildung 1 2015 veröffentlichter Werbefilm für Pokémon Go, der die Verbindung von Spiel und realer Umgebung illustriert.

Der Erfolg des Spiels liegt nicht zuletzt an der Bekanntheit der Spielemarke Pokémon (ursprünglich kurz für „Pocket Monster“ also „Taschenungeheuer“). Seit 20 Jahren veröffentlicht der japanische Videospielproduzent Nintendo nun schon Pokémon-Spiele. Der Startschuss fiel auf der Game Boy-Konsole, auf der sich Pokémon für eine neue Generation etablierte. Im Spiel geht es darum die Ungeheuer zu suchen und einzufangen und sie dann im Kampf gegen andere Monster zu trainieren.

Eine Besonderheit zeichnet die Serie aus, die auch schon auf dem Game Boy zum Erfolg der Serie beigetragen hat: Pokémon-Spieler können ihre Pokémon nicht nur gegen computergesteuerte Gegner, sondern auch gegeneinander antreten lassen und außerdem Pokémon untereinander tauschen. Klassisch wird das Spiel daher immer in zwei unterschiedlichen Versionen veröffentlicht, die jeweils eigene, exklusive Pokémon enthalten.
Wer alle Pokémon besitzen will, muss also zwischen den Versionen Monster übertragen. Diese Idee hat mit Sicherheit dazu beigetragen, dass sich auf Schulhöfen und natürlich später auch im Internet ein reger Austausch zwischen den Bändigern der niedlichen Ungeheuer entfacht hat aus dem eine treue Fangemeinde hervorgegangen ist. Ein neues Pokémon-Spiel verkauft (beide Versionen zusammengenommen) auf tragbaren Konsolen wie dem DS oder 3DS weltweit etwa 10 bis 15 Millionen Einheiten.


Abbildung 2 Ausgangspunkt für den Hype: Das erste Pokémon Spiel für den Game Boy aus dem Jahr 1996.

Damit wäre eine Frage beantwortet, die viele Medien in der Berichterstattung aufwerfen müssen, um überhaupt über das Phänomen zu informieren. Darüber hinaus ist das Spiel ein gefundenes Fressen im Sommerloch. So hat etwa bild.de eine Unterseite mit „Pokémon Go News“ eingerichtet, die im Grunde alle Aspekte der Berichterstattung bedient und auf einem „Poké-Ticker“ alarmierende Schreckensmeldungen wie „Zwei Spieler in Zoo von Ohio festgenommen“ oder „Zwei Männer stürzen beim Spielen von Klippe“ mit Klatsch („Hollywood im Pokemon-Fieber“) und praktischen Anleitungen wie „So bleibt Ihr Akku fit für Pokémon Go“ und „Die besten Einsteiger-Tipps für Pokémon Go“ verbindet.


Abbildung 3 „Pokémon Go News“-Seite von bild.de mit „Poké-Ticker“. Am 15.07.2016 erstellter Screenshot von http://www.bild.de/spiele/pokemon/spiele/pokemon-go-alle-news-tipps-und…

Faszinierend ist dabei, dass in der Berichterstattung über Spiele selten so heterogene Meldungen gleichberechtigt nebeneinander stehen. Viele Spiele tauchen in den Medien mit negativen Konnotationen auf. Ein klassisches Beispiel ist der Begriff „Killerspiele“, der in den Medien seit Anfang der 90er Jahre immer wieder auftaucht.

Bei Pokémon Go mischen sich Aufklärung, Einstiegstipps, Erfolgsgeschichten und Schreckensmeldungen bunt durcheinander. Das Spiel ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Entnervte Kolumnisten kommen ebenso zu Wort wie begeisterte Spieler. Pokémon Go ist ein Thema zu dem jeder eine Meinung haben kann. Ein Thema über das sich Familien generationsübergreifend am Esstisch unterhalten können. Ein Thema, mit dem man nach der Fußball-EM Smalltalk betreiben kann.


Abbildung 4 Vielfalt der Meldungen zum Thema Pokémon Go. Am 15.07.2016 erstellter Screenshot von http://www.bild.de/spiele/pokemon/spiele/pokemon-go-alle-news-tipps-und…

Dabei liefert das Spiel täglich neue Geschichten. Viele davon skurril. So fasste die Polizei in Trier etwa einen Straftäter, der vertieft in Pokémon Go alle Achtsamkeit vergaß und eine junge Frau in Wyoming entdeckte beim Spielen eine Leiche. Darüber hinaus lässt das Spiel Spekulationen über gesellschaftliche Folgen zu. Ein Hit wie Pokémon Go könnte zum Beispiel dazu führen, dass weitere Augmented-Reality-Anwendungen erscheinen und zu immer mehr Begegnungen zwischen Spielern und Nicht-Spielern führen.

Dank dem überraschenden Erfolg der App wird das Phänomen Pokemon Go auch schon von wirtschaftlicher Seite betrachtet. So stieg der Wert der Nintendo Aktie innerhalb einer Woche um 70% auf ein Rekordhoch seit fünf Jahren. Auch hier ist also ein Hype im Gange.


Abbildung 5 Vorgänger-Spiel "Ingress": Erwarten uns bald weitere Augemented Reality Spiele?

Zudem wird darüber spekuliert, wer durch das Spiel, das kostenlos heruntergeladen werden kann und durch sogenannte „in app purchases“ finanziert wird, nun eigentlich die meisten Einnahmen generiert. Zudem nutzen findige Unternehmen das Spiel bereits für Marketing-Strategien.

Innerhalb der eher einschlägig vorgebildeten Medien wird währenddessen diskutiert, dass den Hype um das Spiel eigentlich bereits der inoffizielle Vorgänger Ingress verdient hätte. Dieses wurde bereits 2013 von Niantic veröffentlicht – der Firma die nun auch in Zusammenarbeit mit Nintendo Pokémon Go entwickelt hat. Der Erfolg des Spiels hängt eindeutig mit der Bekanntheit der Marke zusammen – und damit, dass sich das Spielprinzip von Pokémon perfekt für ein „location-based augmented reality game“ eignet.

Zudem wird bereits spekuliert wie nachhaltig der Erfolg des Spiels sein kann. Der in der Gaming-Szene bekannte Finanzanalyst Michael Pachter, der für Wedbush Securities unter anderem Unternehmen aus der internationalen Spiele-Industrie bewertet, glaubt nicht an einen einen anhaltenden Erfolg und prophezeit, dass der Hype nach einem Monat wieder vorbei sein wird, wenn die Monsterjäger es satt haben von der Couch aufzustehen: Um neue, mächtigere Monster aus Eiern auszubrüten muss man nämlich eine bestimmte Strecke zurücklegen. Entsprechend gibt es im Internet schon findige Gamer, die zeigen, wie man ohne körperliche Ertüchtigung die geforderte Distanz zurücklegen kann, indem er eine Drone dazu zweckentfremdet.

Unabhängig davon, ob der Hype um Pokémon Go anhalten ist oder wie von Pachter prophezeit nach einigen Wochen ein Ende finden wird: Die Vielfältigkeit der Berichterstattung in den Medien zeigt, dass es sich hier um einen Meilenstein in der Geschichte der Videospiele handelt. Nicht nur weil viele Menschen das Spiel spielen und sich dafür interessieren, sondern auch, weil es eine neue Art von Spiel ist, die zeigt, dass das Medium endgültig den Weg aus abgedunkelten Kinderzimmern hinaus in die weite Welt gefunden hat. Wer sich die eingangs erwähnte Frage stellt, dürfte langsam einer Minderheit angehören.