Thierry Mugler Couturissime - Grandios, spektakulär, exzentrisch!

24.02.2022


Abb. 1: Eröffnungskleid Ausstellung Couturissimie, Quelle: MUSÉE DES ARTS DECORATIF, Paris

Die außergewöhnliche Retrospektive im MUSÉE DES ARTS DECORATIF, Paris, zeigt die 50-jährige Schaffenswelt des facettenreichen Genies Thierry Mugler in einer bisher noch nie präsentierten Bandbreite. Als Wanderausstellung geht sie in Paris Ende April 2022 zu Ende.  

140 großartige Couture- und Prêt-à-porter-Modelle, die zum größten Teil noch nie vorher ausgestellt waren, belegen die Experimentierfreude und Fantasie des großen Designers. Neben seinen Kreationen werden zudem Accessoires, Bühnenkostüme, Parfums und seltenes Archivmaterial wie Videos und Fotografien sowie Modeskizzen und Kunstdrucke aus den Jahren 1973 bis 2014 ausgestellt. 


Abb. 2: Kleid zum 20. Geburtstags des Labels, F/W 1995/1996, Quelle: MUSÉE DES ARTS DECORATIF, Paris

Abb. 3: Kleider aus der Kollektion Spirale Futuriste, F/W 1979/1980, Quelle: MUSÉE DES ARTS DECORATIF, Paris

Mit großer Vorliebe experimentierte er vielseitig mit avantgardistischen Technologien und entwickelte daraus sehr sinnliche, oft mit einem Spritzer Humor und Frivolität ausgestattete Modelle aus ungewöhnlichen Materialien wie Glas, Plexiglas, PVC, Vinyl und Chrom. 

Mugler schaffte 1974 mit seinem eigenen Label „Thierry Mugler“ nach nur 4 Jahren in Paris den Durchbruch.


Abb. 4: Thierry Mugler, Quelle: MUSÉE DES ARTS DECORATIF, Paris 

Mit seinen oft architektonisch anmutenden Kreationen schrieb er Modegeschichte und beeinflusst bis heute junge Couture-Generationen. Als Mitglied des Chambre Syndicale de la Haute Couture verhalf er der Stadt Paris, sich gegen andere Modemetropolen wie New York oder Mailand durchzusetzen und sich die Stellung als Weltmodestadt der Couture zurückzuerobern.  

Im Laufe seines Schaffens wirkte Mugler in vielen Kollaborationen mit Innenarchitekt:innen, Parfumeur:innen und Fotograf:innen wie z.B. Helmut Newton.  

 

Haute Couture & Prêt-à-porter 

Mitten in der Hippie-Bewegung der 1970er-Jahre, die für Flower-Power und Ethnolook stand, setzte Mugler ganz andere Zeichen. Er kreierte den „Glamazon-Look“, der für die moderne und unkonventionelle Frau bestimmt war. Körperbetonung, eine geometrisch-architektonische Silhouette und innovative Stoffe waren die Basis für seine hautengen Kleider und Jacken, die mit extrabreiten Schultern, oft mit „Mao-Kragen“, tiefen Dekolletés und korsettartigen Wespentaillen ausgestattet waren. Übergroße Hüte und schwindelerregend hochhackige Stiefel und Stilettos rundeten diesen cleanen Look ab.


Abb. 5: „Glamazon Look“ Kollektion F/W 1995/1996, 20. Geburtstag, Quelle: MUSÉE DES ARTS DECORATIF, Paris

Der Mythos des perfekten Körpers erhielt Einzug mit der Ankunft des „Total Look“ und der Tatsache, dass elastische Stoffe vermehrt handelsüblich wurden. Mugler ging noch weiter und mixte Elasthan mit Latex und Vinyl, den maßgeblichen Stoffen der Fetisch- und Untergrundszene.


Abb. 6: „Les Insectes“ Haute Couture S/S 1997. Latexkleid, Quelle: MUSÉE DES ARTS DECORATIF, Paris

Mugler ließ sich immer wieder von der faszinierenden Schönheit der Flora und Fauna inspirieren, um das für ihn herrlichste Wesen, die menschliche Kreatur, für die Bühne des Lebens zu schmücken. 1997/1998 schuf er mit „La Chimère“ und „Les Insectes“ zwei an Reptilien, Schmetterlinge, Insekten und Vögel angelehnte Kollektionen. Dabei dienten ihm als Innovator synthetische Materialien. Er verweigerte sogar luxuriöse, exotische Leder und seltene Vogelfedern zu verarbeiten. Stattdessen ahmte er Gefieder und Tierpanzer nach und schaffte dadurch geniale illusionistische Effekte. Kristalle, Strasssteine, Federn und Pferdehaare auf Samt und Seide trugen ihr Weiteres dazu bei. Tausende von Stunden Arbeit wurden oft benötigt, um diesen ausschweifenden Modellen ihren ganz besonderen Charme zu verleihen.


Abb. 7: „Les Insectes“ Haute Couture S/S 1997. Kostüm aus Autoreifen und „Hiver Buick“ S/S1989, Chrom/Plexiglasbustiers, Quelle: MUSÉE DES ARTS DECORATIF, Paris

Inspirationen von Science Fiction und Comic-Helden, mittelalterlichen Uniformen und Waffen, aber auch Industriedesign und futuristische Fahrzeuge waren immer wieder Grundlage seiner Entwürfe. Seine Intention war es, Menschen stärker aussehen zu lassen als sie in Wirklichkeit waren, eine schützende Hülle zu schaffen.  

Seine „Hiver Buick“ Kollektion von 1989 ist eine Hommage an den amerikanischen Automobildesigner Harley J. Earl und dessen legendären Heckflossen-Cadillac „Eldorado“. Cabrio-Mantelkleider, Kotflügel-Bustiers, Radiator-Gürtel und Heckflossentaschen waren das Ergebnis. 

Mit „Les Atlantes“ tauchte Mugler in die Welt der Meere ab, um mit seinen Wassernymphen, Quallen und Schwertfischen wieder aufzutauchen. Seeigel stehen Pate für das „Muschelglas-Bustier“ und Fischkiemen für ein hautenges „Kiemenkleid“. Das atemberaubende „Medusenkleid“ wurde mit einer damals neuen Technik gefertigt, die erlaubte, Organza zu plissieren (in dauerhafte, kleine Falten zu legen), in aufwendiger Handarbeit zu einer kugeligen Form zu verarbeiten und anschließend gummiartig zu beschichten. Wie bei allen anderen Kollektionen sind auch hier die dekorativen Accessoires nicht zu vergessen.


Abb. 8: „Les Atlantes“, Prêt-à-Porter Kollektion S/S 1989, Quelle: MUSÉE DES ARTS DECORATIF, Paris

Sein Meisterstück „Maschinenmensch“, das in Anlehnung an den Charakter des Roboters Futura aus der Novelle „Metropolis“ entstand, wurde in 6-monatiger intensivster Kleinarbeit hergestellt. Einem Krabbenpanzer ähnlich, besteht die Rüstung aus Plastikelementen und Teilen aus Leder und Gummi, um Bewegungsfreiheit zu ermöglichen.


Abb. 9: „Maschinenmensch“, silberner Anzug aus Plastik, Leder und Gummielementen, F/W 1995/96, Quelle: MUSÉE DES ARTS DECORATIF, Paris

Stage Fashion  

„Meine Berufung ist die Bühne“ ist eines seiner Zitate.  

Als studierter Kostümdesigner und ehemaliger Profitänzer war seine Liebe zur Bühne deutlich. Er war der Meinung, dass Mode an sich nicht ausreichend für sich stand, um auf den Laufstegen präsentiert werden zu können. Die üblichen Catwalks seiner Kolleg:innen entsprachen nicht seiner Vorstellung. Seine Vision, spektakuläre Runwayshows zu konzipieren, die die Modewelt revolutionieren sollten, setzte er jedes Mal spektakulär und professionell um. Immer waren Bühnenbild, Beleuchtung und Musik auf die entsprechende Idee abgestimmt, ob Theaterstück, Musical Comedy, Comic Strip, Hollywood Movie oder glamouröses Cabaret. Jede Show war exzentrisch und immer mit Starmodelbesetzung.  

Mugler erkannte früh, dass das Showbiz ein wichtiger Multiplikator für seinen Erfolg sein würde.  Stars & Sternchen der Szene, Musiker:innen oder Hollywood Schauspieler:innen lud er auf seine Bühne ein, woraus sich oft enge Beziehungen ergaben.    

Diana Ross, Grace Jones, Cher, Lady Gaga, David Bowie, Madonna, Beyoncé, Sinéad O´Connor, Kim Kardashian… lang ist die Liste der Prominenten, die seine oft in monatelanger Arbeit hergestellten Kreationen trugen. Er sah in der Konstruktion der Kostüme eine essentielle Erweiterung der eigenen Individualität.


Abb. 10: „Lady Gaga“, 2009, Collection Diana Ross SS 1991, Quelle: MUSÉE DES ARTS DECORATIF, Paris

Auch für die Schauspielbühne entwarf er Kostüme wie z. B. für den Cirque du Soleil oder zuletzt für Shakespeare´s Lady Macbeth. 

Mugler setzte sich gegen Diskriminierung von Homosexualität ein und unterstützte den britischen Popstar George Michael, der sich mit seiner Plattenfirma überworfen hatte.  

Daraus entstand die Kollektion „Too Funky“, die auf den Kontrast zwischen dem Rampenlicht vor und dem Chaos hinter der Bühne aufmerksam machen sollte.


Abb. 11: „Too Funky“, 1992, Quelle: MUSÉE DES ARTS DECORATIF, Paris

Abb. 12: „Too Funky“, 1992, Quelle: MUSÉE DES ARTS DECORATIF, Paris 

Shooting  

Untrennbar miteinander verbunden war in den 1960er-Jahren die wachsende Popularität der Modemagazine, -fotograf:innen und –illustrator:innen. Chefredakteur:innen konnten neue Talente, ob Designer, Models oder Fotografen, in ihrer Karriere unterstützen und fördern.
Francine Crescent, Chefredakteurin der französischen Vogue zwischen 1961 – 1984 war maßgeblich am Erfolg Muglers beteiligt. Helmut Newton und Guy Bourdin waren mit ihren zeitlosen und modernen Aufnahmen zu dieser Zeit die ganz großen Fotografen der Vogue.

Während einer Werbekampagne 1976, die Helmut Newton für Mugler machte, störte dieser ihn mit etlichen Kommentaren beim Shooten. Entrüstet darüber empfahl Newton Mugler, es doch selbst mit der Fotografie zu versuchen. Das war der Startschuss zu Muglers Interesse an Fotografie. Er kreierte daraufhin immer wieder eigene unkonventionelle Kampagnen und lichtete seine Musen wie Iman oder Jerry Hall an außergewöhnlichen Locations wie z.B. auf einem Eisberg in Grönland, in der Sahara oder auf dem Dach der Pariser Oper ab.


Abb. 13: „Jerry Hall“, von Thierry Mugler, 1995, Kampagne für das Parfum „Angel“ Quelle: MUSÉE DES ARTS DECORATIF, Paris

Abb. 14: „Pariser Oper“, von Thierry Mugler, 1986, Model auf dem Dach der Pariser Oper Quelle: MUSÉE DES ARTS DECORATIF, Paris

Seine Liebe zur Architektur und seine Einstellung zur Natur fand sich in seinen Fotografien genauso wieder wie seine Faszination am Spiel mit Perspektiven und Proportionen.


Abb. 15: „New York“, von Thierry Mugler, 1988, Model auf dem Chrysler Building Quelle: MUSÉE DES ARTS DECORATIF, Paris

THE MUGLER LAB 

Weltbekannt sind auch die Parfums von Mugler. Sein Traum, einen Duft zu kreieren, der so delikat sei, dass man ihn essen möge, der nach Karamell und Schokolade duftet, wurde Anfang der 1990er-Jahre wahr. In Zusammenarbeit mit namhaften Parfumeur:innen aus Grasse war es nach über 600 Versuchen so weit. „Angel“ war der erste „Gourmand“ Duft, der Geschmacksstoffe aus der Foodbranche enthielt. Diese Entdeckung galt als Revolution und eröffnete der Parfumbranche ganz neue Möglichkeiten. 


Abb. 16: „Angel“ Parfum

Dieser außergewöhnliche Duft sollte einen ebenfalls außergewöhnlichen Flakon erhalten. Er entstand in Zusammenarbeit mit dem Industriedesigner J. J. Urcun und gilt als technisches Meisterwerk in der Glasmanufaktur.  

Die Form eines Sterns drückt Muglers Kindheitserinnerungen aus: sein Schutzengel, der blaue Stern, der immer etwas heller leuchtete als die anderen Sterne.  

Ein großartiger Künstler, ein leuchtender Stern am Modehimmel ging zu früh von uns. Mugler verstarb unerwartet im Alter von nur 73 Jahren im Januar 2022.  

Die Ausstellung „Thierry Mugler Couturissime“ läuft noch bis zum 24. April 2022 im MUSÉE DES ARTS DECORATIF in Paris.