‚The greatest Story ever worn‘ – Die Marke Levi’s wird 150 Jahre alt
03.07.2023 | Prof. Martina Weiß
Interview mit Prof. Martina Weiß auf Pro 7 – ‚Deconstructed Levi’s’ am 03.07.2023
Vor 150 Jahren, am 20. Mai 1873, meldeten der Stoffhändler Levi Strauss und der Schneider Jacob Davis in den USA ein Patent auf genietete Arbeitshosen aus grobem Stoff an – dieses Datum gilt heute als Geburtsstunde der Jeans, und markiert gleichzeitig den Anfang der Erfolgsgeschichte der Marke Levi’s, die heute 6,2 Milliarden US$ Umsatz pro Jahr erwirtschaftet und ihre Jeans in mehr als 110 Länder verkauft.
Gefeiert wird dieses Firmenjubiläum mit der groß angelegten Kampagne ‚The greatest Story ever Worn‘, die neben Kurzfilmen ihre Botschaft auch über Social Media, Printmedien, Events und digitale Plattformen ausspielt. Levi’s ist damit omnipräsent – nicht nur, weil laut eigenem Geschäftsbericht die ‚Jungen und die jung Gebliebenen‘ – also irgendwie alle – die Zielgruppe der Marke sind. Auch in Deutschland zählt Levi’s zur beliebteste Jeansmarke, durch alle Altersstufen hinweg. Grund genug für den Sender Pro 7, hinter das Erfolgsgeheimnis der Marke Levi’s blicken zu wollen, und im Rahmen des Beitrags ‚Deconstructed Levi’s‘, der am Montag, 3.7.2023 ausgestrahlt wurde, ein Interview mit Prof. Martina Weiß zu führen.
THE STORY BEHIND
Levi’s zehrt – und bedient – den Mythos, der die Marke seit ihrer Geburtsstunde umweht, auch heute noch. Die 501 – angeblich seit 1873 unverändert - ist die authentische Ur-Jeans. Durch sie ist die Geschichte der Marke direkt verbunden mit dem amerikanischen Traum – die Abenteurer, die Goldgräber, die gen Westen zogen, um durch harte Arbeit Ruhm und Reichtum in den Minen zu finden. Die Jeans, die Levi Strauss entwickelte, ist also die Hose der Wagemutigen und Rebellen – er selbst war ebenso ein Abenteurer, als er aus dem fränkischen Buttenheim ins große, weite Amerika aufbracht, um dort sein Glück zu suchen.
Nach den Goldgräbern trugen die Westernhelden in den Filmen der 30er- bis 50er Jahre Denim - auch sie waren Outlaws in Jeans. Und die amerikanischen GI’s, die die Jeans nach dem 2. Weltkrieg nach Europa brachten, machten die ‚Nietenhosen‘ nochmals zum Symbol für Freiheit und den American Way of Life. Die rebellischen Jugendidole der Nachkriegszeit, Marlon Brando, James Dean, alle trugen Jeans, und wurden so zum modischen Vorbild der ‚Halbstarken‘, die damit nicht nur politisch, sondern auch äußerlich gegen die ältere (Kriegs-)Generationen aufbegehrten. Vollendet wurde der Siegeszug der Jeans durch die Hippie-Bewegung, die ihren Ursprung Ende der 60er Jahre ebenfalls in den USA hatte. Durch sie konnte sich die Jeans endgültig als Freizeitlook, wenig später auch als lässige Businesshose, in der bürgerlichen Mitte durchsetzen. Alle Generationen, die heute leben, haben, zumindest irgendwann einmal eine Jeans getragen. Die Markenbekanntheit von Levi’s liegt in Deutschland bei 98%. Gleichzeitig ist die Ur-Jeans 501 erhaben gegenüber jeglichen modischen Veränderungen – und wird so wie nur wenig andere Kleidungsstücke oder Accessoires (z. B. dem weißen T-Shirt oder der Birkin-Bag) zum echten Klassiker.
QUALITY NEVER GOES OUT OF STYLE
Der Slogan der Brand ist „Quality never goes out of style“ – nietenverstärkt und aus robusten Demin waren die ersten Jeans tatsächlich viel stabiler als alle anderen Hosen. Auch heute zeigt das Lederbadge am hinteren Jeansbund quasi als Beweis für die Unverwüstlichkeit der Hose zwei Pferde, die an einer Hose ziehen, diese aber nicht auseinanderreißen können.
150 Jahre später müssen die Jeans kaum noch solchen Anforderungen standhalten. Daher ist auch die eigentliche Qualität der Produkte ist nicht mehr kaufentscheidend – viel wichtiger ist die gefühlte Qualität, also das, was der Kunde erwartet und von sich aus der Marke und deren Produkten zuschreibt. Und weil die Jeans in ihren Anfängen die Arbeitshose schlechthin war, besteht an der Stabilität und überragenden Qualität, die mit der Jeans assoziiert wird, kein Zweifel.
THE GREATEST STORY EVER WORN
Die Marke Levi’s verbindet die Aspekte Tradition und Geschichte, Authentizität, Individualität, Unkonventionalität und Zeitlosigkeit. Gerade die Kampagnen zum 150. Geburtstag der Marke haben die Aufgabe, diese Markenattribute sehr emotional zu vermitteln – weil Sympathien für eine Marke, und damit auch Kaufentscheidungen, sehr emotionsgesteuert sind.
Im Mittelpunkt der Geschichten, die im Rahmen der ‚Greatest Story ever worn‘ erzählt werden, stehen dreizehn Stories: zum Beispiel der Verstorbene, der in seiner 501 begraben werden möchte und von der ganzen Trauergemeinde fordert, auch die 501 zu tragen. Oder der Mann aus Georgien, der in den 80ern die Kuh der Familie gegen eine 501 eintauscht – ein fairer Handel, so kommentiert der Clip. Angeblich beruhen die Geschichten auf wahren Begebenheiten aus der ganzen Welt – ‚Inspired by true stories‘ – doch es darf angenommen werden, dass Levi’s, um die eigene Legende zu befeuern, den ursprünglichen Tatsachen eine große Prise Drama und Humor hinzugefügt hat.
Die Botschaft, die so vermittelt werden soll, lautet: die 501 ist lebendige Geschichte – die Hose begleitet und verbindet Menschen seit Jahrzehnten, in unterschiedlichsten Regionen und Kulturkreisen. Sie ist Symbol für den amerikanischen Traum von Freiheit und Unabhängigkeit – und kein Preis, keine Hürde ist zu hoch, um zumindest mit dem Tragen der 501 etwas daran teilhaben zu können. Die Träger der 501 sind einzigartig und unangepasst - und vor allem eines nicht: langweilig. Die Hose weckt – zumindest das ist das Credo der Spots - eine solche Begehrlichkeit, dass keine Hürde zu hoch ist, um an eine zu kommen. Und jeder kann mit und durch die 501 seine eigene Geschichte erzählen und weiterschreiben.
Levi‘s knüpft mit den neuen Spots zur ‚Greatest Story ever worn‘ auch an die eigene Tradition ikonischer, humorvoller Werbefilme an, mit denen die 501 in der Vergangenheit in Szene gesetzt wurde. Legendär Mitte der 90er Jahre waren die Protagonisten aus dem Spot ‚Mr. Boombastic‘ – ein muskelbepacktes Knetfigurenmännchen reißt sich vor dem entsetzten Blick einer Knetfigurenblondine die Jeans vom Leib, um erstere sodann gentlemanlike mit Hilfe der (natürlich) unzerreißbaren Hose wie Tarzan an einem Seil aus einem brennenden Hotel zu retten. Der Spot spielt mit Klischees und Stereotypen und würde heute vermutlich eher sexistisch als witzig aufgefasst werden. Lange vor MeToo, in den 90ern, lief der Spot als Kinowerbung, und war, unabhängig von der Hauptvorstellung, ein guter Grund sich eine Kinokarte zu leisten. Und die Botschaft kam an – auch ein Abenteurer kann nur mit der richtigen Jeans die beste Performance abliefern.
Ähnlich klischeebehaftet manifestierte Brad Pitt 1990, noch vor seinen Leinwanderfolgen, in einem Levi’s Spot seinen Ruf als Sexsymbol. Auch er spielte die Rolle des Outlaws, der gerade aus einem Gefängnis im Niemandsland entlassen wurde – um dann draußen, vor dem Knast, von seiner Freundin im Cabrio abgeholt zu werden und erstmal das Symbol der Freiheit, die 501, überzustreifen. Noch ein paar letzte Schnappschüsse von Freundin, Hose und Cabrio – dann brausen die beiden davon und hinterlassen dem verdutzten Gefängniswärter mit einem lässigen Wurf nur die Kamera mit den soeben geknipsten Fotos. Der Spot spielt mit einem Perspektivwechsel – wer ist eingesperrt, wer frei? Wer kann das wilde Leben genießen, wer nur davon träumen? Umstände können sich schnell ändern, aber nur die richtigen Jeans sind das Ticket für Spaß und Freiheit.
Seit den 90ern hat sich vieles verändert – der Markt für Jeans hat von oben und unten größere Konkurrenz bekommen - es gibt Designerjeans, Premium Denim und die Fast Fashion Industrie. Und mit tradierten Rollenbildern, wenngleich auch mit einem Augenzwinkern dargestellt, kann das Unternehmen Levi’s bei den Konsumenten heute nicht mehr punkten. Sustainability und Diversity heißen die neuen Schlagworte, und natürlich muss die globale Marke Levi‘s, will sie den Anschluss an ihre Kunden nicht verlieren, auch diese Themen besetzen.
LEVI’S IN DER KRITIK – NACHHALTIGKEIT & DIVERSITÄT
Wenngleich Levi’s sich beim Circular Fashion Index der Managementberatung Kearney im letzten Jahr unter den Top 3 positionieren konnte (der Index bewertet die Klimafreundlichkeit von Bekleidungsherstellern - Umweltverschmutzung bei Produktion und Vertrieb machten etwa 94% der Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette aus), steht die Marke, was weitere ökologische als auch soziale Aspekte der Nachhaltigkeit anbelangt, in der Kritik.
Die Umweltbelastungen bei der Herstellung von Jeans sind immens. Angefangen beim Baumwollanbau, bis hin zur Veredlung, dem Färben und Waschen des fertigen Produktes - werden große Mengen an Wasser und zahlreiche Chemikalien (die zum Teil in der EU oder den USA längst verboten sind) verwendet. Berechnungen von Greenpeace gehen davon aus, dass für die Produktion einer einzigen Jeans ca. 8.000 Liter Wasser verbraucht werden. Produziert wird, auch wegen der dort kaum vorhandenen Umweltschutzgesetzen, im globalen Süden. Gleichzeitig wurde auch aus Kostengründen die Fertigung (also der Zuschnitt und das Nähen) der Jeans in Entwicklungs- und Schwellenländer – im Fall von Levi’s in Billiglohnländer in Asien und Südamerika - verlagert. Levis bezieht laut Geschäftsbericht etwa 99 % aller Produkte von unabhängigen Vertragsherstellern, die Stoffe kaufen, Design- und Entwicklungsdienstleistungen erbringen und letztendlich die Produkte, die Levis vertreibt, herstellen. Auch wenn Levi’s über einen sogenannten ‚Code of Conduct‘, der Umwelt- und Sozialstandards auch bei Zulieferern garantieren soll, verfügt, ist die tatsächliche Kontrolle über fast die gesamte Wertschöpfungskette, die an Subunternehmer ausgelagert wurde, in der Praxis kaum möglich.
Aus dem Geschäftsbericht von Levi’s geht hervor, dass sich das Unternehmen des Risikos einer negativen öffentlichen Berichterstattung, die diese zum Teil ausbeuterischen Produktionsbedingungen in den Mittelpunkt stellt, sehr bewusst ist. Als mögliche Folgen zählt Levi’s unter anderem eine Schädigung des Markenimages oder Umsatzeinbußen auf.
Vor diesem Hintergrund wirken Pläne von Levi’s, einen Teil der Produktion wieder in die USA zurückzuholen und dort durch den Einsatz von Nährobotern fertigen zu lassen, wie Social Washing. Levi’s begründet in der Außenkommunikation die Rückkehr ins ‚Country of Origin‘ als patriotischen Akt. Die wirtschaftlichen Vorteile einer automatisierten Produktion liegen jedoch auf der Hand: Lohnkosteneinsparungen bei gleichzeitiger Erhöhung der Produktivität – ohne dabei Arbeitsschutzmaßnahmen für die Näherinnen und Näher berücksichtigen zu müssen, und ohne das Risiko, für Missstände in der Produktion einen öffentlichen Shitstorm zu kassieren. Levi’s verlässt den Arbeitsmarkt in den Billiglohnländer und hinterlässt die Arbeiter dort in Arbeitslosigkeit, schafft durch die Automatisierung im Heimatland allerdings auch keine neuen Arbeitsplätze.
Lohnkosteneinsparungen waren auch der Grund für eine Kündigungswelle vor gut einem Jahr. Auch hier stand das Unternehmen bereits in der öffentlichen Kritik. Levi’s entließ rund 700 Mitarbeiter beziehungsweise 15 Prozent der Belegschaft. Laut ‚USA Today‘ spart dies Levi’s so 100 Millionen US$ pro Jahr - obwohl sich der Gewinn des Unternehmens (trotz eines Einbruchs während der Pandemie) von 2019 bis 2022 auf nahezu 570 Millionen US$ verdoppelt hat.
Das Thema Diversität, gekoppelt mit dem Einsatz von virtuellen Models, wird von Levi’s ebenfalls marketingtechnisch genutzt: Zukünftig sollen im eigenen Online-Shop hyperrealistische Avatare – also virtuell generierte Models - in unterschiedlichen Körperformen, Hautfarben, Größen und Alter ein persönlicheres und individuelleres Shopping-Erlebnis für alle Kunden ermöglichen. Bisher werden im Online-Shop die Kleidungsstücke nur an einem Model gezeigt. Durch die virtuellen Models soll der Kunde die Möglichkeit bekommen, Kleidungsstücke auch an Avataren zu sehen, die der eigenen Physis ähneln.
Levi’s bedient sich hier einer Technologie, die von großen Bekleidungsherstellern wie zum Beispiel Boss und H&M zur Kollektionsentwicklung und dem B2B-Vertrieb aus Gründen der Kosten- und Zeiteffizienz bereits seit einigen Jahren genutzt und vorangetrieben wird. Schnittmuster werden digital erstellt, Fittings erfolgen mit einem virtuellen Prototyp auf einem virtuellen Model, und zuletzt wird die Kollektion auf einem Screen oder Tablet im Showroom präsentiert und geordert.
Auch für Levi’s darf angenommen werden, dass der Einsatz der virtuellen Models nicht ausschließlich dazu dient, Diversität nach außen zu demonstrieren – was mit ‚echten‘ Models mit unterschiedlichen Konfektionsgrößen und Hautfarben ebenso darstellbar wäre. Fotoshootings mit Fotografen, Models, Stylisten, Assistenten für Haare und Make-up, Licht und Set sind jedoch zeitaufwändig und kostenintensiv. Bilder müssen in der Post-Production digital nachbearbeitet und retuschiert werden. Daher bietet es sich aus unternehmerischer Sicht mehr als an, diese Prozesse komplett in den digitalen Raum zu verlagern. Zumal digitale Welten, einschließlich des Metaverse, eine große Relevanz bei jüngeren Zielgruppen haben und die Attraktivität der Marke erhöhen können: 46% der US-amerikanischen Teenager geben an, nonstop online zu sein. Und 62% der Millennials ist es wichtiger, wie sie sich online präsentieren als in der physischen Welt, so die Textilwirtschaft.
FAZIT
Levi‘s setzt - zumindest in der Vermarktung – auf Zukunftsthemen, um damit auch für eine jüngere Zielgruppe relevant zu bleiben. Und optimiert dabei beständig die eigene Wertschöpfungskette – mit der Auslagerung von Sourcing, Entwicklung und Produktion. Der Fokus des Unternehmens liegt im Wesentlichen auf der Marke und deren Weiterentwicklung. Durch zunehmende Markttransparenz, Awareness der Konsumenten bezüglich Nachhaltigkeit und die digitale Vernetzung stehen global wirtschaftende Unternehmen zunehmend unter Beobachtung und in der öffentlichen Wahrnehmung. Auch für Levi’s gilt daher: Erfolg verpflichtet im 21. Jahrhundert zur Übernahme von unternehmerischer Verantwortung zu nachhaltigem Wirtschaften und den Schutz von Mensch und Natur.