Vortrag von Yayra Agbofah – THE REVIVAL – über Altkleiderimporte nach Ghana

09.08.2023

Von Prof. Martina Weiß

Was geschieht mit unserer Kleidung, nachdem wir sie entsorgt haben? Weil wir sie nicht mehr tragen, sie uns nicht mehr gefällt, weil Platz für Neues in unseren Schränken frei werden muss? Während der Nachhaltigkeitsaspekt der textilen Wertschöpfungskette hinsichtlich Rohstoffgewinnung und Produktionsbedingungen zunehmend in den Fokus der Konsumenten rückt, bleibt die weitere Reise unserer ausrangierten Kleidungsstücke im Dunklen.

Diesem Thema widmete sich ein Online-Vortrag an der MDH, organisiert und gestaltet von Odessa Legemah, der Gründerin von Assemblage Worldwide ( https://www.a-ssemblage.net/ ). Assemblage Worldwide ist eine Kreativplattform, die nachhaltige Akteure, NGOs, Universitäten und Organisationen im Bereich Produktion und Design verlinkt. Ziel von Assemblage Worldwide ist es, Wissen zu teilen, Fähigkeiten austauschen, und neue, sinnvolle Ideen auf globaler Ebene zu entwickeln und umzusetzen. Guest Speaker Yayra Agbofah, der live aus Ghana zugeschaltet war – dem Land, in dem unser Textilmüll landet – berichtet über die direkten Folgen unseres Kleiderkonsums.

Altkleider auf einer Müllhalde in Accra, Ghana

Altkleider auf einer Müllhalde in Accra, Ghana

Seit Jahrzehnten leben wir in dem Glauben, dass wir, solange wir unsere ausrangierten Kleidungsstücke in Altkleidercontainern oder als Spende bei Wohlfahrtsorganisationen entsorgen, eigentlich etwas Gutes tun. Dass unsere Kleider-Spenden (allein das Wort suggeriert auf fatale Weise etwas Gemeinnütziges) in Charity Shops für einen guten Zweck weiterverkauft oder an Hilfsbedürftige gespendet werden. Doch mit dem Aufkommen der Fast Fashion Industrie und dem Trend zum online-Shopping wächst auch unser Verbrauch an Kleidung – jeder Deutsche kauft rund 60 neue Kleidungsstücke pro Jahr, Tendenz steigend. Laut einer Studie von Greenpeace werden davon etwa 40% kaum oder gar nicht getragen.

Nur zwischen 10 und 30 Prozent unserer Second-Hand-Spenden an Wohltätigkeitsorganisationen werden tatsächlich im Geschäft weiterverkauft. Der Großteil unseres Konsummülls verschwindet in einem Geschäftssystem, das weitgehend unbemerkt bleibt: die gespendeten Waren werden sortiert, kategorisiert und dann an Handelspartner weiterverkauft, oft für den Export in den globalen Süden.

Und landen dann in Ghana, wie Yayra Agbofah erläutert. Jährlich werden 40.000 Tonnen an Altkleidern aus den USA, UK, Europa und Asien in Ghana eingeführt, um dort auf dem größten Second-Hand-Markt Westafrikas, dem Kantamanto Market in Ghanas Hauptstadt Accra, weiterverkauft zu werden. Pro Woche treffen hier bis zu 15 Millionen neue Kleidungsstücke ein. Fast die Hälfte davon ist unverkäuflich, wie etwa Winterkleidung, Unterwäsche, oder zerschlissene Kleidung. Dieser Teil landet auf riesigen Müllhalden, die das Bild der Stadt prägen. Am Meer, am Strand, in den Straßenecken, an den Ortsrändern: meterhoch aufgetürmte Berge an Klamotten. Die Umweltfolgen sind katastrophal. Abgesehen davon, dass Chemikalien (z. B. aus Resten von Färbemitteln) in den Wasserkreislauf geraten, verrottet der Kleidermüll des globalen Nordens nur sehr langsam bis gar nicht - gerade die Fast Fashion Industrie setzt häufig auf kostengünstige synthetische Chemiefasern, die nicht biologisch abbaubar sind und sich allenfalls zu Mikroplastik zersetzen. Die Labels auf den Fotos, mit denen Yayra seinen Vortrag bebildert und die er auf den Müllhalden in Accra aufgenommen hat, kennen wir nur zu gut: hier ein paar zerfetzte Nike-Sneaker, dort ein H&M-Etikett an einem verdreckten Pullover.

Nicht nur die Folgen für die Umwelt sind fatal. Ghanas Bekleidungsindustrie – einst ein bedeutender Wirtschaftsfaktor mit über 30.000 Beschäftigten – kollabiert unter dem Konkurrenzdruck der importierten Billigware. Heute arbeiten nur noch ca. 3.000 Beschäftigte in der Produktion, wie Yayra schildert. Die wirtschaftlichen Auswirkungen gehen einher mit sozialem und kulturellem Niedergang – der Altkleiderhandel ist für die Akteure vor Ort zu risikoreich und zu wenig profitabel, um für ein gesichertes Einkommen zu sorgen, und zerstört die kulturelle Eigenständigkeit der lokalen Bekleidungsbranche.

Yayras Worte – „you won’t die when you miss a fashion trend” und “I am always so sad when I pass the landfills” – und die Bilder seines Vortrags sorgten für beklemmende Stille und große Betroffenheit bei den Zuhörern und den Professorinnen Martina Becker, Claudia Schwarz und Martina Weiß aus dem Studiengang Fashion Management.

Online-Vortrag an der mdh, organisiert und gestaltet von Odessa Legemah, der Gründerin von Assemblage Worldwide

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Yayras Engagement macht gleichzeitig auch Mut: um auf die wachsenden Müllberge und die damit verbundenen vielschichtigen Probleme aufmerksam zu machen und eine Gegenbewegung zu initiieren, gründete Yayra 2018 THE REVIVAL (https://www.therevival.earth/) - eine Non-Profit-Organisation für nachhaltiges Design. THE REVIVAL sammelt unverkäufliche, gebrauchte, ausrangierte Kleidung vom Kantamado Market und von den Müllhalden Accras, beschäftigt lokale Handwerker und arbeitet mit Modestudenten lokaler Universitäten sowie Mitgliedern der Öffentlichkeit zusammen, um sie an der Kreation neuer Outfits zu beteiligen und als „Müll“ gekennzeichneten Gegenständen einen neuen künstlerischen und sozialen Wert zu verleihen.

Unverkäufliche Altkleider werden gesammelt und upgecycelt

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THE REVIVAL verkauft momentan die Designs – weitestgehend Einzelteile - in Pop-up-Shops in und um Accra. Der Betrieb ist winzig und kann nur einen Bruchteil der in Kantamanto ankommenden Waren weiterverwerten, denn die Mengen an Abfall sind riesig und es gibt nicht genügend Nachfrage dafür, so Yayra. Eine wichtige Aufgabe zur Erhöhung des Bekanntheitsgrades für THE REVIVAL ist es also, Menschen zu finden, die unter Kleiderknappheit leiden, und Möglichkeiten auszuloten, ihnen durch die upcycelten Kleidungsstücke zu helfen.

In Ghana beispielsweise erleiden mehr als 80.000 Ananaspflücker Schnittverletzungen und Prellungen, wenn sie Obst ohne angemessene Sicherheitsausrüstung ernten – die Arbeiter haben kein Geld, um Schutzkleidung zu kaufen. Deshalb entwickelte THE REVIVAL im Jahr 2020 Schutzkleidung aus weggeworfenen Denim-Importen, die die Marke daraufhin an Bauern in ganz Ghana gespendet hat. Die Overalls für die Pflücker sind aus alten Jeansjacken und -hosen zusammengesetzt und von THE REVIVAL im Siebdruckverfahren mit einem Pop-Art-Ananas-Design bedruckt. Der Markt für solche Kleidungsstücke wäre riesig - überall in Afrika und in der Karibik wird Ananas angebaut. Und die Overalls sind cool - sie könnten in Paris, Tokyo und London in jedem Concept-Store hängen.

Denim-Tote von THE REVIVAL im Museumsshop des Victoria & Albert Museum, London

Denim-Tote von THE REVIVAL im Museumsshop des Victoria & Albert Museum, London

Bisher haben es nur Accessoires aus der Kollektion von THE REVIVAL zurück in den globalen Norden geschafft: THE REVIVAL kooperiert mit dem Victoria & Albert Museum in London, und hat für den Museumsshop eine Tasche aus Jeansabfällen gestaltet (https://www.vam.ac.uk/shop/fashion/bags-totes/recycled-denim-tote-bag-by-the-revival-164641.html). Ebenfalls Kooperationspartner sind die Central Saint Martins School (London) & London College of Fashion und The Hopenclass (Paris). Und auch die Mediadesign Hochschule strebt eine standortübergreifende Kooperation im kommenden Wintersemester an – um die Arbeit von THE REVIVAL zu unterstützen und bekannter zu machen, sollen in unterschiedlichen Modulen des Studiengangs Fashion Management Kollektions- und Vermarktungskonzepte entwickelt werden. Dazu, dass weniger Kleidermüll entsteht und in den globalen Süden exportiert wird, kann schließlich jeder durch die Änderung des eigenen Konsumverhaltens beitragen.

26.07.2023 – mdh Fashion Management München