Entwicklungen der Online-Werbung: Soziale Netzwerke, Video-Ads und virale Effekte
21.12.2011
Das Video-Ad dürfte sich zukünftig mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem bedeutenden Instrument effektiver Online-Werbung entwickeln: Inwieweit dabei die Interaktion als dem typischsten Element der Online-Kommunikation relevant sein kann, um Reaktanz gegenüber Werbung zu reduzieren, muss die Wissenschaft erforschen.
Konsumenten und Werbung
Objektiv betrachtet formuliert Werbung ihr Ziel ‚ehrlich‘: Einer Symbiose zweier akzeptierter Definitionen von Werbung folgend (Kloss, Ingomar (2007): ‚Werbung. Handbuch für Studium und Praxis‘, München, S. 6 und Sieglerschmidt Sebastian (2008): ‚Werbung im thematisch passenden Medienkontext. Theoretische Grundlagen und empirische Befunde am Beispiel von Fernsehwerbung, Wiesbaden, S. 25) intendiert sie ‚über den Einsatz bezahlter Kommunikationsmittel die Einstellungen von Personen zugunsten von beworbenen Produkten zu beeinflussen‘.
Dennoch oder gerade deshalb lässt sich die tatsächliche Konsumenten- Einstellung zur Werbung schnell auf einen zentralen Begriff reduzieren – den der ‚Reaktanz‘: Immer mehr Konsumenten stehen der Werbung mindestens kritisch, maximal eindeutig ablehnend gegenüber. Einen Grund für diese Reaktanz nannte Charles Revlon, Kosmetik-Produzent und selbst Werbetreibender, als er der Überlieferung nach für seine Produkte freimütig bekannte: “In the factory we produce cosmetics, but in the stores we sell hope” – frei übersetzt demnach: „In unseren Fabriken stellen wir zwar Kosmetika her, aber das, was wir verkaufen, das ist die Hoffnung.“
Der Schluss scheint damit legitim, dass es weniger der Inhalt der Werbebotschaften ist, der die Rezipienten-Reaktanz hervorruft, sondern vielmehr die Antwort der Werbung auf die Frage antwortet ‚WIE müssen werbliche Inhalte präsentiert werden, um die Einstellung von Umworbenen tatsächlich zu beeinflussen?‘.
Werbung und Gestaltung
Die Bandbreite erprobter und praktizierter ‚Wie-Ansätze‘ ist dabei enorm: Werbebotschaften nutzten im Laufe der Zeit die sachliche dezidierte Produkt- Erläuterung ebenso wie eine sexualisierte Themenaufbereitung oder die Präsentation von unterhaltenden, provozierenden oder auch schockierenden Motiven und Inhalten. Angesichts dieser enormen Bandbreite aber einer dennoch festzustellenden Reaktanz ‚drängt‘ ein weiterer Schluss geradezu auf: Die Gestaltung der Werbebotschaften wird vom Rezipienten nicht bzw. nicht mehr positiv aufgenommen. Dies scheint umso fataler, als dass akzeptiertermaßen gilt: Je positiver ein Umworbener die Gestaltung einer Werbebotschaft bewertet, desto wahrscheinlicher führt dies zur Professor Dr. Ulf Boes Beitrag MD.H BLOG: November 2011 / 15.11.2011 3 grundsätzlichen Akzeptanz der Botschaft; die so initiierte Akzeptanz der Werbebotschaft wird vom Umworbenen dann auch auf das Produkt selbst übertragen (vgl. dazu bspw. bei Kroeber-Riel, Werner und Esch, Franz-Rudolf (2011): ‚Strategie und Technik der Werbung. Verhaltens- und neurowissenschaftliche Erkenntnisse‘, Stuttgart, S. 344).
Aktuell versprechen die Gestaltungsfaktoren ‚Visualität‘ und ‚Emotionalität’ eine maximal wirksame Werbewirkung oder analog: die geringste Reaktanz. Die Umsetzung in Bilder intendiert, dass Werbung schnell erfassbar und gut erinnerbar ist; das Aufladen von Inhalten mit Positiv-Emotionen zielt darauf ab, über diese Emotionen bspw. Produktakzeptanz zu erreichen oder das häufige reale Fehlen von tatsächlichen Produkt-USPs zu egalisieren.
Erfolgsfaktoren von Online-Werbung
Fragt man also nach den spezifischen Erfolgsfaktoren der Online-Werbung, dann muss die Antwort den bisherigen Ausführungen entsprechend auf die Gestaltung der Werbebotschaft abzielen. Die Gestaltungsfaktoren ‚Visualität‘ und ‚Emotionalität’ sind problemlos in Werbebotschaften der Online-Kommunikation zu integrieren: Die Darstellungs- Universalität des Internets sichert dies eindeutig. Die Online-Werbung muss dazu aber ein weiteres Element der Gestaltung bieten, um die Reaktanz beim Umworbenen zu überwinden.
Im Gegensatz zur traditionellen Print-, Hörfunk-, TV- oder Out-of-Home- Werbung verfügt die Online-Werbung über einen eindeutigen Indikator für die Akzeptanz von jeweiligen Werbebotschaften: Der Fokus des Web 2.0 auf Interaktion im ‚sozialen Miteinander‘ bedeutet im Zusammenhang der Werbung, dass jeder Konsument die Werbebotschaften, für die er bereit ist, Aufmerksamkeit aufzubringen und denen er damit potenziell erlaubt, seine Einstellungen zu beeinflussen, eigenständig in sein soziales Online-Netzwerk integriert. In diesem Umfeld überprüft er die Werbebotschaften mit Hilfe der zentralen Netzwerk-Eigenschaft ‚individuelle Interaktion’ sowohl in bezug auf Produktund Preis-Qualität, als auch in bezug auf die jeweilige Gestaltung der Werbebotschaft .
Das interaktive Feedback seines Netzwerkes vermittelt dem Rezipienten eine umfassende objektive und nachhaltige Orientierung, denn die aus der Interaktion resultierende
- ‚Authentizität‘ sichert ihm, dass die freundschaftlichen Feedback- Botschaften in der Regel ohne finanzielle bzw. kommerzielle Interessen Intentionen erfolgen, Professor Dr. Ulf Boes Beitrag MD.H BLOG: November 2011 / 15.11.2011 4
- ‚Individualität‘ sichert ihm, dass auch nicht selbst eingestellte Werbebotschaften aufgrund des gegenseitigen freundschaftlichen Vertrautseins seinen tatsächlichen Interesse entsprechen.
Geht man von dieser Rezipienten-empfundenen Orientierungssicherheit aus, ist das Einsetzen folgender Kausalzusammenhänge sehr wahrscheinlich:
- In erster Konsequenz trifft der Rezipient in jedem Fall ein nachhaltig wirkendes Urteil zur Relevanz einer jeweiligen Online-Werbebotschaft.
- Im Falle eines positiven Urteils erfolgt als zweite Konsequenz die Akzeptanz der Online-Werbebotschaft als persönlich relevante Botschaft für den Rezipienten.
- Mit dieser Akzeptanz ‚öffnet‘ sich der Rezipient dann in dritter Konsequenz dem Dialog mit dem Werbetreibenden und damit für eine Beeinflussung seiner Einstellung.
Gestaltung von Online-Werbung
Für Werbeschaffende bzw. Werbetreibende scheint damit die Lösung zur Überwindung von Werbereaktanz auf der Hand zu liegen:
Online-Werbebotschaften müssen so flexibel konzipiert sein, dass sie durch individuelle Interaktion in sozialen Netzwerken die Gestaltung annehmen können, die von der jeweiligen Community positiv bewertet wird.
Für diese theoretisch logisch klingende Erkenntnis stellt sich aber zwangsläufig die Frage, inwieweit sie für den praktischen Einsatz von Instrumenten der Online-Werbung relevant sein kann.
An dieser Stelle wird die Frage ausschließlich im Zusammenhang des Instrumentes ‚Video-Advertisement‘ bzw. ‚Video-Ad‘ diskutiert: Bei einer ziel- und spezifikagerechten Weiterentwicklung dürfte sich ‚Video-Advertisement‘ mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem zukünftig bedeutenden Instrument effektiver Online-Werbung entwickeln – die nachfolgenden Ausführungen forcieren diesen Schluss.
Begriffsverständnis von Video-Ads
Trotz der wachsenden Bedeutung des Instrumentes ‚Video-Ad‘ existieren tatsächlich eher wenige Begriffserklärungen, dazu keine übereinstimmend akzeptierte.
Grundsätzlich verstanden als elementare technische Erweiterung gegenüber Rich-Media-Bannern basiert die Diskussion zu Video-Ads daher auf folgendem Begriffsverständnis:
‚Video-Ads sind Bewegtbild-Sequenzen, die primär den Eigenschaften des Internets entsprechend produziert und dort über Flash- oder Streaming- Technologien in unterschiedlichen Präsentationsformaten abgespielt werden sowie dabei ausschließlich werbliche Inhalte transportieren.‘
In diesem Verständnis bieten Video-Ads für Werbetreibende elementare Vorteile, sie
- können in der Regel kostengünstiger als TV-Spots produziert werden,
- erreichen als Bewegtbild-Ansprache aber ein ebenso hohes emotionales Rezipienten-Involvement wie klassische TV-Spots,
- erzielen durch virale Effekte über Plattformen wie YouTube oder facebook mit hoher Geschwindigkeit große Reichweiten zu einem deutlich reduzierten notwendigen Mediabudget.
Dazu korrespondieren diese Vorteile stark mit den Vorteilen für die Rezipienten: Für diese ist die Aufnahme von Video-Ad-Botschaften
- als Bewegtbild-Information die potenziell emotionalste und damit wirksamste Ansprache,
- eigenständig jederzeit und in beliebiger Häufigkeit (wieder) abrufbar,
- eigenständig in ihrer dramaturgischen Chronologie navigier- bzw. gestaltbar,
- ohne Medien-Wechsel bzw. einen notwendigen Einstieg in eine Online- Anbindung unmittelbar weiter zu empfehlen bzw. zu ‚sozialisieren‘.
In wieweit Video-Ads ihre maximal mögliche Wirkung dabei als Instrument der ‘In-Stream-Platzierung’, also als Pre-Roll-/Mid-Roll oder Post-Roll-Ad oder in einer ‘Out-Stream-Platzierung’, also als Platzierung in Bereichen ohne weitere ‚konkurrierende‘ Bewegtbild-Ansprache, erreichen, ist eine bedeutsame jedoch in anderem Zusammenhang zu diskutierende Frage.
Unabhängig davon lässt sich eindeutig konstatieren, dass insbesondere das ‚Video-Ad‘ über diejenigen Gestaltungsfaktoren verfügt, die aktuell für eine hohe Werbewirksamkeit genannt worden sind: ‚Visualität‘ und ‚Emotionalität’.
Video-Ads und individuelle Interaktion
Zur Beantwortung der Frage, ob individuelle Interaktion bei Video-Ads die Reaktanz gegenüber Werbung überhaupt reduzieren kann, erfolgt zuerst die Klärung, inwieweit eine individuelle Gestaltung von Video-Ads für Umworbene tatsächlich relevant ist. Die Integration von Video-Ads in soziale Netzwerke erfolgt durch den Rezipienten entweder als vollständig akzeptierte, vom Werbetreibende vorgegebene Botschaft.
Oder als individuell durch den Rezipienten bewertete bzw. gestaltete Botschaft: diese Integration einer individuell gestalteten Werbebotschaft wird als die zukünftig deutlich relevanter werdende Konstellation angenommen, sie entspricht eindeutig dem immer mehr gewohnten Habitius des Umworbenen im Umgang mit dem Medium ‚Internet‘: der völlig individualisierten Informationsaufnahme und -produktion bzw. damit eben Gestaltung. Damit ist die grundsätzliche Notwendigkeit, dass Video-Ads Rezipienten die Möglichkeit zur individuellen Gestaltung, idealerweise in Echtzeit, geben müssen, absolut gegeben.
Die Antwort auf die Frage, wie eine solche Interaktion praktisch tatsächlich möglich ist, ist dann der eindeutige Hinweis auf ein nahezu unbeachtetes Forschungsfeld:
Technisch dürfte eine solche individuelle Gestaltung problemlos möglich sein: Die Verbreitung von Breitband-Verbindungen hat den Zusammenhang von Daten-Übertragungsmenge und damit verbundener ‚kreativer Einschränkung‘ in seiner Relevanz deutlich reduziert.
Tatsächlich ist davon auszugehen, dass die ‚mediale‘ Kompetenz, individuelle Interaktion so in eine Bewegtbild-Ansprache zu integrieren, dass eine individuelle Gestaltung realisiert wird, nicht ausreichend entwickelt ist. Zum einen kann eine solche Kompetenz noch nicht sehr ausgeprägt sein: Das Internet ist kein neues Medium mehr, aber – und eben gerade in bezug auf die notwendige breitbandige Datenübertragung – immer noch ein junges Medium.
Das tatsächliche Fehlen einer Vielzahl entsprechend interaktiv gestalteter Video-Ads hängt aber primär ohne Zweifel mit der Vielzahl unbeantworteter Fragen zu wissenschaftlichen und praxisbezogenen Aspekten zusammen:
Die einfache, beispielhafte Orientierung an der Lasswell-Formel verdeutlicht dies bereist nachdrücklich:
Ist das interaktiv gestaltete Video-Ad tatsächlich für jeden Werbetreibenden (Who) relevant oder gibt es bspw. Inhalte (What), die keine Variation erfahren dürfen, um nicht irrelevante oder gar kontraproduktive Aussagen zu produzieren.
Ist dazu jeder Umworbene (Whom) überhaupt bereit bzw. persönlich oder auch technisch in der Lage jeweilige Gestaltungen vorzunehmen? Oder steht die jeweilige Intensität bei der individuellen Gestaltung von Video-Ads vielmehr in einer direkten Abhängigkeit zum jeweiligen sozialen Netzwerk (Channel): zu den akzeptierten Spezifika der dort versammelten Community? Und führt einen tatsächliche Vielzahl interaktiver Video-Ads beim Umworbenen final möglicherweise zu einer empfundenen Überforderung (Effect), stets interaktiv agieren zu müssen?
Diese hier nur angerissenen Problemfelder zeigen, die absolute Notwendigkeit der Interdisziplinarität: Zwischen Wissenschaft und Praxis ohnehin, aber auch zwischen den einzelnen Kompetenzbereichen innerhalb der jeweiligen Ausrichtung. Nur in dieser Abstimmung scheint das tatsächliche oder mögliche Potenzial des interaktiven Video-Ads überhaupt erfassbar zu sein.
Beispiele interaktiver Video-Ads
Ein Gefühl dafür, welche Dimensionen die Bewegtbild-Interaktion aber erreichen kann und welche Bedeutung dem Instrument ‚Video-Ad‘ und damit auch der Online-Werbung insgesamt zukommen kann, vermittelt vor allem das von Experten und Umworbenen gleichermaßen intensiv diskutierte Video-Ad „Shoot the bear“ des Unternehmens Tipp-EX (vgl. www.youtube.com/watch?v=4ba1BqJ4S2M, Zugriff: 14.11.2011; 10.24 Uhr).
In einem reduzierten Zusammenhang gilt diese Bewertung auch das Video-Ad des Unternehmen JUNKERS ‚“Wärme fürs Leben“ (vgl. www.youtube.com/watch?v=hV7S9Ql-R14&feature=player_embedded, Zugriff: 14.11.2011; 10.24 Uhr)
Vor allem jedoch das Video-Ad „Shoot the bear“ von Tipp-Ex initiiert und erlaubt die geforderte intensive individuelle Interaktion bzw. individuelle Botschaftsgestaltung durch den Aufbau von dramaturgischen Spannungsfragen
- ‚Wie wird sich die gefährliche Situation grundsätzlich auflösen?‘
- ‚Wie lösen die individuell gewählten Lösungen die gefährliche Situation auf?‘
sowie den Aufbau von logischen Spannungsfragen
- ‚Wie werden die unterschiedlich möglichen Lösungen visuell umgesetzt?‘
- ‚Wie viele unterschiedliche Lösungen sind visuell umgesetzt worden?‘
- ‚Was erfolgt bei Lösungsvorschlägen, die nicht realisiert worden sind?‘.
Es kann damit folgerichtig als Präzedenz-Beispiel für die Entwicklung der zukünftigen Ansprache durch Video-Ads dienen.