Designer im Generativen Raum
20.03.2012
Im Rahmen des Media Labs 2012 und der folgenden Bachelor-Thesis fokussierten programmier-affine Studenten aus dem Studiengang Mediadesign München Optionen der Generativen Gestaltung.
»…nobody wants to have only simplicity. Without the counterpoint of complexity, we could not recognize simplicity when we see it simplicity and complexity need each other.«
― John Maeda
Als blickweitende Entwurfsmethode und Richtungsfindung im Bereich Grafik, Simulation und Animation wählten die Studierenden die populäre, am MIT in Boston 2001 von Studenten entwickelte und von John Maeda inspirierte, objektorientierte Programmiersprache Processing. Die integrierte Entwicklungsumgebung ermöglicht Designstudenten eine experimentelle Sollbruchstelle, um das operationalisierbare Universum virtuell-digitaler Welten systematisch zu erforschen.
Als Pionier computergenerierter Bilder entwickelte der Computer Künstler A. Michael Noll bereits Mitte der 60-Jahre des letzten Jahrhunderts an den Bell Labs erste programmatische Arbeiten. Beispiele sind die bereits 1965 auf einem IBM 7094 entstandenen Arbeiten »Computer Composition with Lines«, die sich an Piet Mondreans Bild »Composition with Lines« von 1917 orientierten.
In der Zwischenzeit ist die mittels Code automatisierte Gestaltung für modernes Grafikdesign eine unabdingbare Bereicherung geworden, gerade in den Bereichen der Informationsgrafik und Visualisierung, um der steigenden Datenflut ein interpretierbares, humanes Gesicht zu verleihen.
Alexander Wagner – Literative Gestaltung
Inspiriert von einer Arbeit von Stefanie Posavec, aus dem Jahr 2008, mit dem Titel »Writing Without Words«, bei der sie den literarischen Organismus des Romans »On the Road« von Jack Kerouak in biomorphen Diagrammstrukturen mit handwerklichen Mitteln visualisierte, übersetzte Alexander Wagner in seiner Arbeit »Literative Gestaltung« literarische Werke nach deren rhythmischen und strukturellen Besonderheiten mittels processing.
Beispielhaft realisierte er in der Folge zentrale Werke aus verschiedenen Genres, wie »Ulysses« von James Joyce, »Warten auf Godot« von Samuel Beckett und »A Clockwork Orange« von Anthony Burgess.
Er stellte sich die Frage: »Wie lässt sich die emotionsgeladene Welt der Literatur in die abstrakte und logische Welt der Computeranalyse übertragen«.
ULYSSES (Episode III und XIV)
Bei der Umsetzung von »Ullysses« wird der Blickwinkel innerhalb der literativen Gestaltung dem strukturellen Aufbau und der Sprache zugewandt. Der Kreis wird als visuelles Stilmittel als Synonym für die Schwingungen der Worte und der Gedankenwelt der Romanfiguren gewählt. Die einzelnen Episoden des Romans werden auf Grund ihrer Unterschiede einzeln untersucht. [1]
WAITING FOR GODOT
Jede visualisierte Linie symbolisiert einen gesprochenen Satz des Theaterstücks.
Die Länge der Linien beschreibt die Anzahl der Wörter pro Satz.
Den Protagonisten werden je nach Rolle und Intensität spezifische Farben zugeteilt.
Eine Skala neben den Linien gibt als Zusatzinformation die gesamte Anzahl der Sätze und den jeweiligen Akt an. [2]
Julia Felzmann | 21 Gramm – Ein Experiment
Julia Felzmann entwickelte in Ihrer Bachelor-Thesis mit dem Titel »21 Gramm – Ein Experiment« einen Einzelseelen- und einen Gruppenseelengenerator, nachdem sie sich im Modul Media Lab mit dem Thema der »Populationsregulation auf Basis der Räuber-Beute-Beziehung« auseinandergesetzt hat.
Sie stellte sich folgende Frage: »Die Seele ist der innerste Kern des Menschen – seine Persönlichkeit. Doch welche Faktoren können diese treffend beschreiben, ohne oberflächlich zu wirken?« [3]
Sie nahm dazu Bezug auf das von dem Forscherteam um Paul T. Costa und Robert R. McCrae entwickelte Fünf-Faktoren-Modell.
Die fünf Charakterkategorien: Neurotizismus, Intro-, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit und Rigidität/Gewissenhaftigkeit, übertrug sie auf die Parameter: Komplexität, Bewegung, Größe/Opazität, Farbe und Transparenz.
Anders als beim Einzelseelengenerator setzt Julia Felzmann »für die Generierung einer Gruppenseele auf Agenten. Hierbei handelt es sich um Objekte, die sich auf dem Bildschirm auf Basis von im Code festgelegten Prinzipien bewegen.
Der Code ›M_1_5_02_TOOL‹ 54, 55 aus dem Buch ›Generative Gestaltung‹ dient dem Weltseelenprogramm als Grundlage. Hier ziehen die Agenten lange Fäden und bilden eine Art Netz, welches den ganzen Bildschirm einnehmen kann. Mit Hilfe von Slidern können die Agenten in ihrem Verhalten beeinflusst werden.« [4]
Im nächsten Schritt wird das Programm »so angepasst, dass es auf Touchgesten reagiert. Um eine Kommunikation zwischen Processing und CCV [Kameraernkennungssoftware] zu ermöglichen, wird das Open Framework ›TUIO‹ als Schnittstelle verwendet. Es erlaubt die standardisierte Weiterleitung von Touch-Informationen aus […] CCV an Processing. Es folgt eine Überarbeitung des Processing-Codes, der dafür sorgt, dass die Agenten nur dann und an der Stelle entstehen, an der ein Finger den Tisch berührt. Zusätzlich sollten die Agenten dem Finger folgen und auf andere, den Tisch berührende, Finger zulaufen. So entsteht ein dynamisches Seelennetz auf der Projektionsfläche. Zum Schluss sollen die Agenten aus einem Pool an Verhaltenseigenschaften schöpfen können, um so für Variabilität innerhalb der Seelenfäden zu sorgen.« [5]
Fazit:
Generatives-, computergeneriertes Design eröffnet Designstudenten ein faszinierendes methodisches Experimentierfeld für ›synästhetische‹ Perspektivwechsel, für die variable Vertiefung und Weiterentwicklung der Designmethodik und des Designvokabulars.
Ästhetik und Alogrithmik, Designer und Programmierer in einer Person – eine leider zu seltene Liaison. Trotzdem wünschte man sich in der Folge eine Prozessvertiefung, die nur über multidisziplinäre-, kollaborative Teamstrukturen zu erreichen wäre.
[1] vgl. Alexander Wagner, Konzeption Literative Gestaltung, S. 23
[2] ebd., S. 17
[3] Julia Felzmann, Konzeption 21 Gramm – Ein Experiment, S. 76
[4] ebd., S. 100
[5] ebd., S. 100