Sprungbrett oder Krise? Erlebnis Castingshow-Teilnahme
06.05.2013
Tagungsbericht zur LfM-Fachtung: „Sprungbrett oder Krise? Erlebnis Castingshow-Teilnahme“ am 30. April 2013 in Essen
Castingshows im Fernsehen gehören zu den am häufigsten kritisierten Formaten. Es wird den Programmverantwortlichen vorgeworfen, junge talentlose Kandidaten vor einem Millionenpublikum zur Belustigung der Kandidaten vorzuführen. Faktisch gehe es weniger um einen Talentwettbewerb, sondern darum, dass die Blamage der Teilnehmer für Aufmerksamkeit und Einschaltquoten sorgen sollen. Echte Superstars hätten sich bisher nicht gezeigt. Dafür habe es eine Reihe von Kandidaten gegeben, die es bis heute bereuen, an derartigen Formaten teilgenommen zu haben. Aus Anlass der Veröffentlichung einer Studie von Maya Götz und ihren Mitarbeiterinnen mit dem Titel „Sprungbrett oder Krise? Das Erlebnis Castingshow-Teilnahme“ hat die Landesanstalt für Medien NRW (LfM) zu einer Fachtagung in die Philharmonie nach Essen eingeladen, in der die Ergebnisse der Studie vorgestellt wurden. Zudem kamen neben Vertretern der LfM auch ehemalige Teilnehmer von Musik-Castingshows sowie ein Produzent und psychologischer Betreuer zu Wort.
Nach einem Grußwort von Jürgen Braumeier (Direktor der LfM), in dem er die Aufgaben der LfM als Regulierungs- und Förderungsinstanz für Medienkompetenz skizzierte, stellte Maya Götz (Leiterin des Internationalen Zentralinstitutes für das Jugend- und Bildungsfernsehen, IZI) die zentralen Inhalte ihrer Studie vor. Sie skizzierte die Castingshowablaufphasen vom Massencasting über den Recall und das Training bis hin zu den Liveshows und stellte gestalterische Einheiten des Formates vor. Es werden Soapgeschichten erzählt, um die Aufmerksamkeit und Anschlusskommunikation zu generieren. Castingshows operieren dabei im Spannungsfeld zwischen Schein und Sein. Es wird der Eindruck suggeriert, dass diese Formate einzigartig sind und tatsächlich ein Star gesucht werde. Hierbei soll im Rahmen eines fairen Wettkampfes angeblich ein Gesangstalent gesucht werden, dessen Karriere dokumentiert werde. Faktisch handelt es sich hingegen um ein globales Format, das serielle Massenunterhaltung des Showbusiness bietet. Faktisch steht die Jury mehr im Mittelpunkt als die Kandidaten.
In Form einer Fanbefragung wurden von Götz und ihren Mitarbeiterinnen die Motive für die Rezeption von Castingformaten erhoben. Die Identifikation mit Talenten spielt hier ebenso eine Rolle wie das „Ablästern“ über talentfreie Kandidaten. Eine weitere Befragung ehemaliger Teilnehmer über die Bewerbungsmotive bei Castingshows ergab, dass ein professioneller Einstieg als Musiker ebenso eine Rolle spielt wie die gewünschte Anerkennung bei Freunden und Eltern.
Götz übernahm in ihrer Präsentation zudem eine Typenbildung der Kandidaten vor. Neben den Akteuren, die nach dem ersten Casting direkt wieder nach Hause geschickt wurden, nutzen Gesangsprofis die Show, um bekannt zu werden. Zudem wurden „Neuentdeckungen“ hervorgebracht, die zumeist nur kurzfristig den Status eines Prominenten erhalten haben. Zudem gab es „abgewertete Hoffnungsträger“, die nach kurzem Aufstieg keine Perspektive auf Ruhm und Geld mehr besitzen. Gezeigt werden zudem Spaßauftritte zur Belustigung der Zuschauer. Derart peinliche Auftritte wurden z.T. jahrelang wiederholt und haben negative Konsequenzen für die Reputation der Betroffenen. Schließlich gibt es auch die Kategorie der „Psychisch Überforderten“, die neben dem Verlust des Selbstwertgefühls auch unter Essstörungen und Depressionen leiden können. Daran anknüpfend wurden unterschiedliche Krisenpotenziale herausgearbeitet, die bei den Kandidaten auftreten können. Neben der körperlichen Belastung, die mit der Teilnahme an dem Wettbewerb verbunden ist, kann der Rauswurf und die daraus resultierende Ablehnung dazu führen, dass diese negativen Erfahrungen nicht angemessen verarbeitet werden können. Die kann auch für den vermeintlich positiven Prominenzfaktor gelten. Auch hier kann der Umgang mit Fans als belastend wahrgenommen werden. Und wenn diese Prominenz dann wieder vorbei ist, kann es schwer fallen, in den normalen Alltag zurückzufinden. Aufgrund dieser skizzieren Problemfelder gibt Götz die Empfehlung, dass die Produzenten mit den Kandidaten in den unterschiedlichen Castingphasen sensibel umgehen sollten. Der Blick sollte zudem auf die Qualitätsstandarts derartiger Formate unter Einbeziehung des Jugendmedienschutzes gerichtet werden. Schließlich ist die Förderung von Medienkompetenz unverzichtbar, die u.a. darüber aufklärt, dass Castingshows keine Realität abbilden, sondern inszenierte Programmangebote mit kommerziellen Interessen darstellen.
Nach der Vorstellung der Studie konnten ehemalige Teilnehmer in der Podiumsdiskussion „Bestimmt ein tolles Erlebnis! – Castingteilnehmer im Gespräch“ von Castingshows ihre Erfahrungen vorstellen. Nica und Joe, die beim X-Faktor dabei waren, haben das Format ebenso gelobt, wie Michael Thiel, der die Kandidaten während der Produktion psychologisch betreut hat. Private Informationen sind nicht preisgegeben worden. Hier stand vielmehr der Gesangswettbewerb im Vordergrund. Thiel betonte, dass es sich beim Musikgeschäft jedoch nicht um ein „menschenfreundliches Gewerbe“ handle. Manche Kandidaten müssten vor sich selbst geschützt werden. Die Sender sollten dafür sorgen, dass peinliche Auftritte unterbleiben. Deshalb ist das soziale Umfeld in Form von Freunden und der Familie wichtig, um Unterstützung zu erhalten. Behmam Moghaddan, der bei Voice of Germany teilgenommen hat, betonte, dass die Identifikation mit der Show zentral ist, um Erfolg zu haben. Er berichte im Gegensatz zu David Peters, der beim RTL-Format DSDS mitgemacht hat, ausschließlich über positive Erfahrungen. Peters kritisierte, dass bei DSDS mit Stereotypen gearbeitet werden. Viele Kandidaten könnten sich nicht dagegen wehren, als Lachnummern vorgeführt zu werden. Vielmehr sollten Gesang und Talent in den Vordergrund treten. Mit Blick auf die Quoten hat sich gezeigt, dass The Voice of Germany inzwischen erfolgreicher ist als DSDS. Dies ist ein Indiz, dass Qualität und ein respektvoller Umgang mit den Kandidaten durchaus vom Zuschauer gewünscht wird.
In der sich anschließenden Diskussionsrunde „Zwischen Attraktion und Verantwortung – Musik-Castingshows als neue Gladiatorenkämpfe“ hat Thomas Stein, der als Jurymitglied bei DSDS tätig war, betont, dass die Kandidaten sich darum reißen, bei Castingshows aufzutreten. Er kritisierte aber, dass Kinder, wie bei der Sendung Voice-Kids, auf die Bühne gelassen werden, da sie mit diesem Druck oft noch nicht angemessen umgehen können. In diesem Kontext spielen ehrgeizige Eltern eine destruktive Rolle, sofern sie ihre Kinder in einen Wettbewerb drängen, den diese gar nicht wahrnehmen möchten. Holger Girbig (Bereichsleiter Aufsicht und Programme, LfM) wies darauf hin, dass viele Kandidaten nicht durchschauen, was sie in den Sendungen konkret erwartet. Ein weiteres Problem sei die langfristige Verwertung des Bildmaterials. Pannen und Blamagen der Teilnehmer würden oft jahrelang wiederholt. Hier müssten die Verträge entsprechend angepasst werden, um dies zu vermeiden. Götz griff diesen Aspekt auf, indem sie darauf hinwies, dass die Kandidaten die Verträge häufig nicht ausreichend prüfen, da der Wunsch bei einer Castingshow dabei zu sein, so dominierend sei, dass fragwürdige Regelungen in den Verträgen akzeptiert würden. Oft würde auch über die privaten Auseinandersetzungen der Konkurrenten oder deren Familiengeschichten umfassender berichtet als über die künstlerischen Leistungen. Die zusammengeschnittenen Beiträge konstruieren zudem eine eigene Wirklichkeit der auftretenden Kandidaten, das eine angemessene Bewertung ihres Auftretens verhindert. Insgesamt kam die Diskussionsrunde zu dem Ergebnis, dass Castingshows ein hartes Geschäft sei. Der langfristige kommerzielle Erfolg kann nur durch kontinuierliche harte Arbeit über mehrere Jahre erreicht werden. Wichtig ist die Aufklärung der Macher gegenüber den Teilnehmern über die Mechanismen und den daraus resultierenden Risiken des Musikgeschäftes. Dafür plädierte auch Mechthild Appelhoff (Bereichsleiterin Medienkompetenz und Bürgermedien, LfM). Kinder und Jugendliche sollten im Vorfeld darüber informiert werden, was sie in den Formaten erwartet. Sie sollten Knebelverträge ablehnen, um faire Bedingungen zu bekommen. Ein weiteres medienethisches Problem kann zudem durch die Anschlussdiskurse im Internet resultieren. So sind abwertende Kommentare bei Facebook weit verbreitet. Das Problem des Shitstorms durch Cybermobbing spielt dabei eine zentrale Rolle.
Die hochinteressante Fachtagung ermöglichte wichtige Einblicke aus unterschiedlichen Perspektiven in das umstrittene Feld der Castingshows. Die lesenswerte Studie von Götz u.a. kann bei den LfM (www.lfm-nrw.de) ebenso bezogen werden wie die Ergebnisse der Repräsentativbefragung von 6- 17-Jährigen zu ihren Vorstellungen vom „Erlebnis Castingshow-Teilnahme“. Zudem bietet die Landesanstalt für Medien NRW Unterrichtsmaterialien zu den Themenfelder Musik-Castingshows, Skripted-Reality-Formaten und Germany’s next Top-Model an.