„Freiheit für das Internet!“– Vom Spannungsfeld zwischen Freiheit und ihrem Missbrauch
13.11.2014
Tagungsbericht von Kira Schlender und Jessica Bolz
Unter dem Schlachtruf „Freiheit für das Internet!“ widmete sich der alljährliche „Social Community Day“ im Kölner Veranstaltungszentrum KOMED am Montag, den 27. Oktober zentralen Themenaspekten und Problemstellungen unserer digitalen Gesellschaft in Bezug auf den Freiheitsbegriff. Begleitet durch die Moderation von Daniel Fiene (Antenne Düsseldorf) näherte sich die vom Grimme-Institut organisierte Veranstaltung der Thematik mit Hilfe der multiperspektiven Betrachtungsweise geladener Medienexperten. Anhand zahlreicher Praxisbezüge wurden dabei diverse Teilaspekte wie Meinungsbildung, Quellenvielfalt und staatliche sowie wirtschaftliche Überwachung in Form von Vorträgen, Diskussionsrunden und anschließenden Workshops debattiert.
Passend zur Thematik verwies Moderator Daniel Fiene in seinen einleitenden Worten auf die Möglichkeit der interaktiven Gesprächsbeteiligung und -gestaltung seitens des Publikums via Twitter. Nach der Begrüßung der Direktorin des Grimme-Institutes, Frauke Gerlach, eröffnete Frau Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien des Landes NRW, die Diskussion: „Wenn man über Freiheit nachdenkt, ist für einen kurzen Moment alles klar [...] und dann wird es aber kompliziert.“.
Diese Problematik ergänzte die Ministerin in ihrem Versuch einer Definition des Freiheitsbegriffes durch die Beschreibung der Freiheit als Gut, „das in seiner absoluten Form immer anzustreben und doch nie zu erreichen ist.“. In ihrer Rede sprach sie in Bezug auf Medien sowohl über die Grenzen, länderspezifische Auffassungsunterschiede sowie im Grundgesetz verankerte Vorschriften für Freiheit. Als mögliches lösungsschaffendes Element für das zentrale Spannungsverhältnis von Freiheit und Einschränkung sah die Ministerin das ständig neue Aushandeln von Kompromissen.
Als nächster Referent betrat Markus Beckedahl als Vertreter und Blogger der Plattform netzpolitik.org für digitale Freiheitsrechte die Bühne und demonstrierte die ihm zufolge nach dringliche Verbesserungswürdigkeit der Freiheit im Medium Internet anhand verschiedener Beispiele. Den ersten freiheitseinschränkenden Faktor sah der Wahlberliner in dem Faktum der sogenannten Störerhaftung, also dem Mangel an offenen Hotspots in Deutschland, ausgelöst durch ein Urteil des Bundesgerichtshofes 2010. Im weiteren Verlauf seines Vortrages erörterte Beckedahl die freiheitsberaubenden Auswirkungen der zunehmenden Verletzung der Netzneutralität sowie einer „Totalüberwachung“. In seinem finalen Appell an Politik und Staat forderte der Blogger Förderprogramme für die leichtere Bedienung alternativer Kommunikationswege in Form von Open Source Lösungen, die sich seines Wissens nach mit „wenig Geld“ umsetzen ließen.
Die sich den Vorträgen anschließende Fishbowl-Runde zum Thema „Freiheit braucht Schutz“ bot den Zuhörern, so der Moderator, „einen Platz auf der Bühne an", um sich als Publikum „ein wenig aus seiner Rolle zu befreien“ und sich bei „Einwürfen, Hinweisen und Fragen“ an der Experten-Diskussion beteiligen zu können. Als Expertenpanel wurden Markus Beckedahl, Jan Kottmann von Google Deutschland, Jürgen Hein, Journalist der dpa, sowie Sepideh Parsa als Vertreterin des Deutsche Welle Media Services auf die Bühne geladen.
Eröffnet wurde das Gespräch durch die Bitte des Moderators an Jan Kottamann, Stellung zum bereits international diskutierten „Phänomen der Google-Angst“ zu nehmen. Dieser sah die seiner Meinung nach unbegründete Sorge historisch bedingten Erklärungsansätzen, wie dem einer deutschen Grundskepsis als auch dem durch die NSA verursachten Vertrauensverlust der Bevölkerung in das Internet geschuldet. Da in Bezug auf Letzteres auch bei Google selbst ohne Einverständnis in das Eigentum „eingebrochen“ worden sei, kritisierte der Google-Repräsentant: „Die deutsche Regierung hat sich sehr schwer getan, die amerikanische Regierung zu kritisieren.“. Die Chance des Unternehmens läge nun darin, erschwert durch die hohe Komplexität der Sachverhalte, Aufklärungsarbeit bezüglich konkreter Vorgehensweisen im Umgang mit Daten und dessen Schutz zu betreiben.
Hinsichtlich der in der Datenschutzdiskussion verankerten Debatte des „Rechts auf Vergessen“ äußerte sich der dpa-Journalist Jürgen Hein im Hinblick auf die Aspekte der Sorgfalts- und Haftungsverordnungen sowie des genauen Abwägens von Schutz der Privatsphäre und öffentlichem Interesse. Die Auswirkungen der digitalen Transformation der letzten 10 Jahre auf die journalistische Freiheit sah der Journalist in einem hohen Zugewinn an Freiheit seitens der Medienkunden, die sich im Speziellen bei der dpa durch eine Quellenkennzeichnung im Text äußert. Die dadurch bedingt geminderte Freiheit des Journalisten, Behauptungen tatsächlich belegen zu müssen, bewertet Jürgen Hein positiv: „ Das treibt mich natürlich zu Sorgfalt und tiefer Recherche.“
Mit der Weitergabe des Wortes an Sepideh Parsa wurde das Internet als Freiheitsmedium in totalitären Systemen thematisiert. Am Beispiel des Irans, einem Staat mit totaler Überwachung des öffentlichen Lebens, sei eine regelrechte „Flucht“ ins Internet zu verzeichnen, so die Vertreterin des Deutsche Welle Media Services. In den stetig zunehmenden Web-Blogs würden neben politischen und gesellschaftskritischen Themen auch Alltägliches und Schönes wie Liebe oder Mode diskutiert, was angesichts der totalitären Zustände dennoch politisierend wirke. Sepideh Parsa beschrieb das Netz als einen geistigen Freiraum, der als Sprachrohr ein Ausleben der eigenen Persönlichkeit und Identität ermöglicht.
Im Anschluss an die Diskussionsrunde betrat das zweite Expertenpanel, bestehend aus Birgit Kimmel (clicksafe), Prof. Dr. Christian Schicha (Mediadesign Hochschule Düsseldorf), Jenna Zita Günnewig (wdr.de) sowie Marc Hippler (Rheinische Post Online) die Bühne. Unter der Headline „Braucht Freiheit Grenzen?“ stimmte der Moderator sein Publikum mit Hilfe einiger persönlicher Fragen auf die Diskussion ein: „Wer von Ihnen hat schon einmal eine richtige Diskussion im Internet geführt?“, „Bei wem hat diese Diskussion zur Meinungsvielfalt beigetragen?“ und „Wer liest gerne Kommentare im Internet?“.
Basis dieser Fragen bildete die Freiheit, im Internet eine große Öffentlichkeit zu erreichen, ob diesem freiheitlichen Zugewinn aus ethischer Perspektive Grenzen bedürfen, beantwortete Prof. Dr. Christian Schicha wie folgt: „Ja, natürlich braucht die Freiheit Grenzen, weil es Regeln gibt!“. Die Aufgabe der Ethik bestehe sowohl in der virtuellen als auch in der face-to-face Kommunikation darin, als Krisenreflexion zu fungieren und Normen zu entwickeln, „die ein sozialverträgliches Zusammenleben ermöglichen“. Das Ziel bestünde darin, durch Normen eine Balance im Spannungsverhältnis der Artikulation von Freiheitsrechten auf der einen Seite und des Missbrauchs dieser Rechte auf der anderen Seite zu schaffen. Bei dieser gesamtgesellschaftlichen Fragestellung sei es zusätzlich Aufgabe der angewandten Ethik, alle beteiligten Akteure und deren Interessen zu identifizieren. Die Kommentarfunktion auf Nachrichtenwebseiten mittels derer sich zivilgesellschaftliche Bürger artikulieren können, bewertete Schicha „grundsätzlich erst mal als positiv“. Die dabei oft wahrnehmbaren Grenzüberschreitungen, begründet durch einen Mangel an Ausbildung und entsprechender Sensibilität, sollten „gegebenenfalls strafrechtlich sanktioniert werden“.
Konkretisiert wurde das beschriebene Spannungsfeld mittels einer Vorstellung der Kommentarkultur durch Jenna Zita Günnewig, die diese weder als grundsätzlich positiv noch durchgehend negativ beschrieben hat. Neben Lenkung guter Diskussionen wird durch das bewusste Ausschalten der Kommentarfunktion bei gewissen Themen, wie der Berichterstattungen über Gewaltverbrechen, einem „Auseinanderfliegen“ des Forums zuvorgekommen. Als zusätzliches Regulationsinstrument bietet WDR.de eine so genannte „Netiquette“, die unter den Kommentaren sichtbar verbindlich zu einer wertschöpfenden und respektvollen Kommunikation anleitet. Als besonders positiv gestalte sich die Kommentarkultur jeweils dann, wenn die Kommunikation, wie im Beispiel von Liga live, auf einer sehr persönlichen Ebene gestaltet wird – „das honorieren die Nutzer“, so die Expertin.
„Es klappt da weniger gut, wo sich die Leute weniger auskennen“, ergänzte Marc Hippler die Argumente seiner Vorrednerin. Bezüglich der durch die enorme Quantität an Kommentaren notwendigen Filterung beschrieb er einen Zielzustand wie folgt: „Ideal wäre es natürlich, wenn sich der Redakteur, der einen Text geschrieben hat, auch selbst die Kommentare ansieht“. Da das „ehrlicherweise“, bedingt durch zu knappe Ressourcen, „nicht immer klappt“, wünschte sich Marc Hippler für die Zukunft ein Filtersystem, „das uns gute Kommentare nach oben spült.“.
Im weiteren Verlauf entwickelte sich das Gespräch von dem aktiven Eingreifen von Moderatoren über die Inszenierungsdominanz von Journalisten hin zum Aspekt des digitalen Mobbings von Kindern und Jugendlichen als Schattenseite der großen Freiheit.
Birgit Kimmel von clicksafe äußerte sich diesbezüglich wie folgt: „Die Online-Medien haben den Raum, in dem Konflikte ausgetragen, werden erweitert.“. Die Aufgabe und Verantwortung des Diensteanbieters läge im Speziellen darin, eine Eskalation von Konflikten durch die öffentliche Auseinandersetzung mit Wertefragen zu vermeiden. Die zentrale Fragestellung laute in diesem Zusammenhang: „Wie können wir Jugendliche dazu befähigen, wertorientiert zu handeln?“. Als einen guten Lösungsansatz zur Beantwortung dieser Frage sah die Expertin einen Sensibilisierungsprozess gefolgt von einer Hinführung zu Analyse- und Reflexionsprozessen hin zu einer direkten Auseinandersetzung mit Wertekonflikten und -dilemmata.
In einem anschließenden Austausch diskutierten die Teilnehmer unter Beteiligung des Publikums u.a. über den Umgang mit Zensurvorwürfen, eine Filteroption für den Leser und eine neue Ebene der Augenhöhe zwischen Anbieter und Konsument. Seinen Abschluss findet die Diskussionsrunde in einem finalen Impuls von Marc Hippler: „Einfach noch mal durchatmen, bevor man senden klickt! Dann wäre schon vielen geholfen!“.
In dem Workshop „Medien, Ethik, Wirtschaft – ‚Aufmerksamkeitsverteiler – wie könnte die Medienethik für Suchmaschinen und soziale Netzwerke aussehen? Diskussion von Fallbeispielen“, der von Kordula Attermeyer und Konrad Lischka von der Staatskanzlei NRW geleitet wurde, ging es um die Relevanz von sogenannten Aufmerksamkeitsverteilern, wie beispielsweise Suchmaschinen oder soziale Netzwerke. Um sich mit diesem Thema näher auseinander setzen zu können, wurden von Seiten der Referenten drei Fallbeispiele vorgestellt, die jeweils in zehn Minuten von den Teilnehmern diskutiert wurden.
Fall 1 beschäftigte sich mit dem „Facebook-Experiment“, bei dem es sich um die 2012 durchgeführte Studie von Facebook handelt. Diskutiert wurde hierbei unter der Frage nach der Ethik eines solchen Experiments, das ohne das Wissen oder Einverständnis der in der Studie einbezogenen Nutzer durchgeführt wurde. Dabei wurden unterschiedliche Haltungen der Workshopteilnehmer sichtbar. Die Ergebnisse der Diskussion wurden zum Schluss wie folgt zusammengefasst:
- Ethik ist ein Instrument zur Diskussion.
- Facebook ist etwas anderes als Rundfunk oder Forschung.
- Zentral ist das Aushandeln von Spielregeln, deren Inhalte aber noch offen sind.
Fall 2 behandelte das Thema „Verkaufte Aufmerksamkeit“, bei dem es darum ging, dass jemand dafür bezahlt hat, dass man auf bestimmte Inhalte in sozialen Netzwerken aufmerksam wird. Die Frage, die zur Diskussion gestellt wurde, war, ob dies überhaupt als Problem zu betrachten ist. Auch hierbei fand eine kontroverse Diskussion statt, die letztlich so zusammengefasst wurde: Das Wissen, was zu tun ist, um sich zu schützen, ist sehr ausgeprägt.
Bei dem dritten und letzten Fall ging es um „Personalisierung & Filterblasen“, dass die Netzwerke eine Auswahl an Artikeln treffen, die sie den Nutzern vorschlagen. Hierbei gingen die Meinungen der Teilnehmer alle in die gleiche Richtung, so dass das Fazit dementsprechend zusammengefasst werden konnte: Personalisierung kann Vorteile haben, gewünscht ist es aber, dass man wählen kann. Transparenz wäre schön, widerspräche aber der Logik des Geschäftsmodells.
Weitere Informationen und die verschiedenen Aspekte der Workshopteilnehmer können hier nachgelesen werden.