Mobile augmented-reality games: Entscheidungshilfe in Krisensituationen durch mobile, situationsbezogene Spiele
02.03.2015
Herkömmliche Lernverfahren sind gut geeignet Wissen, Verfahren und Fähigkeiten zu vermitteln. Ihnen fehlt jedoch die Möglichkeit, Lernende realitätsnahe Situationen erfahren zu lassen. Spiele hingegen können Spieler so fesseln, dass sie sich vollständig in eine Situation versetzt fühlen und innerhalb dieser Situation agieren. Nichtsdestotrotz werden Spiele zu Lern- und Trainingszwecken bisher überwiegend ebenfalls für die Vermittlung von Fakten verwendet - dabei vergeuden sie ihr Potential.
Mit der Verfügbarkeit mobiler Internetverbindungen, mit preiswerten mobilen Geräten, die über hohe Rechenleistung und umfangreiche Sensorausstattung verfügen, ist es einfacher als bisher möglich, Spielszenarien mit der aktuellen Umgebung des Spielers zu verknüpfen: die Übergänge zwischen Virtual reality und augmented reality werden fließend.
Gleichzeitig steigt sowohl die Zahl als auch die Akzeptanz mobil spielbarer multi-user Spiele dramatisch an - erfolgreiche Spiele werden von mehreren Millionen Spielern gespielt. Diese neuen Technologien auch für Lern- und Trainingszwecke nutzbar zu machen ist das Ziel von Forschungsprojekten, die am Welten Institut, Research Center for Learning, Teaching and Technology der Open University der Niederlande zusammen mit Partnern durchgeführt werden [1].
1. Entscheidungstraining für Umstehende im Falle eines Herzstillstandes
Herzstillstand ist eine der weltweit häufigsten Todesursachen. Umstehende wissen aber oft nicht was zu tun ist oder trauen sich nicht zu helfen aus Angst, etwas Falsches zu tun. Schnelle Hilfe ist aber überlebensnotwendig. Mit einem mobilen Entscheidungsspiel sollen Menschen in die Rolle von Helfern versetzt werden, um ihre Hilfsbereitschaft zu erhöhen. Dabei müssen verschiedene Tätigkeiten koordiniert werden: dem Opfer mit Herzmassage helfen, Hilfe holen, Defilibrator finden und anwenden.
2. Krisenbewältigung in Entführungsfällen
Das Office des United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) führt und koordiniert internationale Maßnahmen zum Schutz von Flüchtlingen und löst Flüchtlingsprobleme weltweit. UNHCR-Mitarbeiter arbeiten oft in gefährdeten Bereichen und werden nicht selten Opfer von Entführungen. UNHCR schult deshalb regelmäßig seine Mitarbeiter über den Umgang mit diesen Situationen. Zielsetzung ist dabei, besonnen auf die Krisensituation zu reagieren, schnell eine Krisenteam zusammenzustellen und durch die getroffenen Entscheidungen und Maßnahmen das Leben des Opfers zu sichern.
3. Störungen komplexer logistische Prozesse
Komplexe logistische Prozesse in einem großen internationalen Hafen sind extrem Störungsabhängig. Kleine Störungen können dabei schnell Schneeballeffekte Auslösung und zu großen wirtschaftlichen Schäden führen, wenn nicht rechtzeitig und angemessen reagiert wird. Ein riesiges Hafengelände erfordert dabei den koordinierten Einsatz mehrerer Personen, um Probleme schnell und sicher zu lösen. Mit rollenbasierten Spielen soll Hafenmitarbeitern und Verantwortlichen beigebracht werden, wie wichtig die richtige Kommunikation gerade in Krisensituationen ist.
Allen drei vorgestellten Fällen ist ein Element gemeinsam: mehrere Personen müssen koordiniert handeln, um die Krisensituation erfolgreich zu bewältigen. Mobile Mehrbenutzer-Spiele, die rollenabhängige Spielverläufe haben können dabei helfen, die Spielteilnehmer in die entsprechende Situation zu versetzen und die Entscheidungs- und Kommunikationsverläufe zu trainieren, ohne das Risiko echter Konsequenzen einzugehen.
Grundlage für die Umsetzung der drei Trainingsszenarien als Spiele ist die am Welten Institut entwickelte Open Source Platform für mobiles Lernen: ARLearn [2]. Diese Platform erlaubt es Autoren, situationsbezogene Lernspiele mithilfe eines Autorensystems zu erstellen und auf mobile Geräte zu verteilen.
Die Durchführung der Spiele ist dabei jeweils in drei Spielphasen zerlegt:
a) Einführungsphase: technische Einrichtung und Einführung in das Spielprinzip
b) Spielphase: hier wird das eigentliche Spiel in Teams und mit individueller Rollenzuordnung gespielt
c) Debriefing-Phase: hier werden die Spielergebnisse analysiert und mit erwarteten Ergebnissen verglichen. Dadurch soll Reflektion ermöglicht werden.
Während Experimente mit Teilnehmern zeigen, dass diese Art der Spiele positive Effekte für die Teilnehmer darstellen [3], [4], [5], bedeutet der Einsatz der mobilen Technologie in Kombination mit Tätigkeiten in der realen Welt, dass Teilnehmer regelmäßig zwischen der Wahrnehmung echter und simulierter Sinneseindrücke und Kommunikationsverläufen wechseln müssen. Diese Medienbrüche stellen derzeitig Hindernisse dar.
Viel wird daher vom Einsatz sogenannter Wearables erwartet, die wie Google-Glass [6] als permanent verfügbare Geräte getragen werden, aber nicht mit der Hand bedient werden müssen.
Referenzen:
1. Klemke, R., Ternier, S., Kalz, M., Schmitz, B., Specht, M. (2014). Immersive Multi-user Decision Training Games with AR-Learn. In Rensing, C., de Freitas, S., Ley, T., Muñoz-Merino, P. (Eds.), Open Learning and Teaching in Educational Communities. Proceedings of the 9th European Conference on Technology Enhanced Learning (EC-TEL), Lecture Notes in Computer Science 8719 (pp. 207-220). Springer International Publishing. http://dx.doi.org/10.1007/978-3-319-11200-8_16
2. http://portal.ou.nl/web/arlearn
3. Schmitz, B., Ternier, S., Klemke, R., Kalz, M., & Specht, M. (2013). Designing a mobile learning game to investigate the impact of role-playing on helping behavior. In D. Hernández-Leo et al. (Eds.), Scaling up Learning for Sustained Impact. Proceedings of European Conference on Technology Enhanced Learning (EC-TEL), LNCS 8095 (pp. 357–370). Berlin Heidelberg, Germany: Springer-Verlag.
4. Gonsalves, A., Ternier, S., De Vries, F., & Specht, M. (2012). Serious games at the UNHCR with ARLearn, a toolkit for mobile and virtual reality applications. In M. Specht, M. Sharples, & J. Multisilta (Eds.), Proc. of 11th World Conference on Mobile and Con-textual Learning (mLearn 2012) (pp. 244-247). October, 16-18, 2012, Helsinki, Finland.
5. Klemke, R., Kurapati, S., & Kolfschoten, G. (2013, 6 June). Transferring an educational board game to a multi-user mobile learning game to increase shared situational awareness. In P. Rooney (Ed.), Proceedings of the 3rd Irish Symposium on Game Based Learning (pp. 8-9). Dublin, Ireland.
6. https://www.google.com/glass/start/
Quellenangabe: KMK/BEHRENDT&RAUSCH