Es schaut Dich an – Über die aktivierende Wirkung von Augen in der Werbung
06.08.2013
An einem ganz normalen Tag, an einem ganz gewöhnlichen Ort: Unvermittelt sehen wir ES direkt vor uns. Ungeheuerlich, das Grauen pur - keine Zeit noch irgendetwas zu tun - diese schrecklichen Augen - Alarmstufe rot! Einen Augenblick später: Die Astlöcher eines Baumes, die Steine am Boden, der Kaffeesatz aus der Mokkatasse blicken uns mit den Augen eines Zwergenmonsters an. Wir lachen – aber der Schrecken sitzt uns noch in den Gliedern.
Wir nehmen die sichtbare Welt auf zwei unterschiedlichen Ebenen war. Bewusst sehen wir nur das, was gerade im Moment das Wichtigste ist, wie beispielsweise den Dampf des frisch aufgebrühten Kaffees oder auch eine drohende Gefahr. Um rechtzeitig zu erkennen, was im Augenblick wirklich wichtig ist, scannen wir ständig unbewusst das gesamte uns zur Verfügung stehende Gesichtsfeld ab. Vom linken äußeren Rand bis ganz nach rechts sehen wir, ohne dass wir die Augen bewegen, alles was sich innerhalb eines Winkels von 120° befindet. Nach oben und unten ist der Gesichtskreis etwas kleiner (55° nach oben und 80° nach unten). Darüber hinaus wird unser Gesichtsfeld dadurch erweitert, dass unsere Augen in ständiger Bewegung sind. Die sogenannten sakkadischen Augenbewegungen erweitern unser Sichtfeld noch einmal um ungefähr 30°. Wie stark sich unsere Augen bewegen, hängt von der jeweiligen Situation ab. Sind wir beispielsweise müde, sind die Augenbewegungen weniger intensiv. Am stärksten bewegen sich die Augen in aufregenden oder sogar gefährlichen Situationen. Dies wird automatisch und unbewusst gesteuert.
Die Verarbeitung von Bildinformationen im menschlichen Auge unterscheidet sich deutlich von der einer Digitalkamera. Die Struktur und Anordnung der Sehzellen ist nicht gleichmäßig auf der Netzhaut verteilt. An der Stelle wo unsere Sehachse auf die Netzhaut trifft befinden sich dichtgedrängt die meisten unserer Sehzellen. Dies ist der „schwarze Fleck" oder die Fovea centralis. Dieser Bereich ist mit der Größe von ungefähr einem Winkelgrad recht klein. Die Dichte der Sehzellen nimmt rapide ab, je größer die Entfernung zum Mittelpunkt wird. An den äußeren Rändern befinden sich nur noch wenige Stäbchen. Mit den Stäbchen werden hauptsächlich Helligkeitsunterschiede wahrgenommen, insbesondere bei schlechten Lichtverhältnissen. Zäpfchen, die für das Farbsehen zuständig sind, sind an den Rändern des Sehfeldes gar nicht mehr vorhanden.
Eine stark reduzierte Auflösung, mit der lediglich grobe Helligkeitsunterschiede unterschieden werden, reicht für das ständige Beobachten der Umwelt völlig aus. In den Augenwinkeln erkennen wir lediglich einfach und deutlich gestaltete Formen. Sobald ein bedeutender Helligkeitsunterschied wahrgenommen wird, richten sich die Pupillen innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde darauf aus. Das Objekt wird dann in der bestmöglichen Qualität, die die Fovea centralis ermöglicht, analysiert. Die spezielle Art des Wahrnehmens auf zwei Ebenen, nämlich durch Vorauswahl und anschließende Konzentration auf ein Objekt, ermöglicht es, dass wir äußerst schnell unsere Umwelt wahrnehmen, analysieren und dementsprechend reagieren können. Nur die wirklich wichtigen Dinge werden bewusst wahrgenommen. Dadurch ist sichergestellt, dass die uns zur Verfügung stehenden Ressourcen optimal eingesetzt werden.
Sehen und gesehen werden
In der Zeit, als unsere Vorfahren noch in Höhlen lebten, entwickelten sie Strategien zum Überleben, die wiederum die Grundlage für unser heutiges Leben darstellen. Eine wichtige Eigenschaft ist das schnelle Erkennen von Gefahren. Stellen Sie sich vor, Sie verlassen Ihre kuschelige Höhle und erblicken in den Augenwinkeln zwei Augen, die Sie ansehen. Schnelles Reagieren ist jetzt überlebenswichtig, um nicht zum gefundenen Fressen zu werden. Andererseits besteht die Möglichkeit einer leckeren Mahlzeit, sofern Sie kein Vegetarier sind.
Augen sind allgegenwärtig
Das Erkennen von Augen ist so bedeutend für uns, dass wir Augen an Stellen zu erkennen glauben, an denen gar keine sind. Die jeweilige Situation wird häufig gefährlicher eingeschätzt, als sie in Wirklichkeit ist. Gefährlicher als reale Wildtiere sind böse Monster oder grausame Ungeheuer, die durch unsere Phantasie erschaffen wurden. So erkennen wir in einer völlig harmlosen Umgebung „Es“, ein vermeintlich böses, äußerst gefährliches Ungeheuer und richten uns augenblicklich auf dessen Abwehr ein. Einen kurzen Moment später sehen wir, wie übertrieben wir reagiert haben, und ein befreiende Aufatmen oder Lachen setzt ein. Eine solche Schrecksekunde ist gleichzeitig auch ein gutes Training für eine
Gefahrensituationen.
Typische Augen oder Monster können in natürlichen Strukturen, wie Steinformationen, Hölzer oder Wurzeln erkannt werden. An einem vergleichsweise harmlosen Ort wie im Schlosspark von Stuttgart fällt die Struktur in Abbildung 1 ins Auge. In dieser natürlichen Rindenstruktur lässt sich leicht ein Kopf erkennen. Natürlich können wir sehr schnell zuordnen, dass es sich lediglich um harmlose Rinde handelt.
Da wir kein Feuerholz mehr für unsere Höhle benötigen, ist die Rinde völlig belanglos ist, es sei denn, wir erfreuen uns an diesem Formenspiel. Geschickt genutzt können solche Strukturen die Grundlage von phantasievollen Wesen bilden. Künstler wie beispielsweise Max Ernst haben aufgrund solcher Strukturen phantasievolle Bildwelten erschaffen. Ebenso verwenden Streetart Artisten häufig die Darstellung von Augen in ihrem Artwork. Solch subtile Reize fesseln für kurze Momente unsere unbewusste Aufmerksamkeit.
Unbewusst scannen wir ständig die Umgebung ab. Haben wir ein paar Augen registriert, so konzentriert sich auch die bewusste Wahrnehmungsebene auf diesen Punkt. Blitzschnell müssen wir erkennen, um was es sich handelt, um dann zu entscheiden, wie wir handeln. Erkennen wir beispielsweise den Schriftzug des Waschmittel „OMO“, erfolgt Entwarnung. Für einen kleinen Moment war unsere gesamte Aufmerksamkeit auf das Waschmittel gerichtet. Dies reicht aus, um spontan zuzugreifen und den Einkaufswagen zu füllen! Dieser Prozess spielt sich weitgehend unbewusst innerhalb von Bruchteilen einer Sekunden ab. Verstärkt wurde dieser Effekt damals, indem die Verpackungen zu hohen Türmen aufgeschichtet wurden.
Wie intensiv wir die Umgebung unbewusst beobachten verdeutlicht das folgende Beispiel: Während einer Vernissage, einem lockeres Treffen, einem beiläufig plätschernden Smalltalk in irgendeinem Foyer haben Sie das Gefühl, dass Sie jemand von links hinten anschaut. - Unmöglich? Am Rücken befinden sich doch keine Augen, denken Sie. Trotzdem drehen Sie sich unauffällig um und entdecken ein/e Bekannte/r, die/der Sie gerade begrü.en oder ärgern möchte....
Dieser Effekt wird in vielen Medien genutzt um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die unterschiedlichen Darstellungsformen lassen sich in zwei Kategorien einteilen: Die Abbildung von Augen als symbolische Darstellung wie in den Abbildungen 5-9 sowie die realistische Darstellung wie in den Abbildungen 10-13.
Die symbolische Darstellung von einem Augenpaar wird gerne als „Eyecatcher“ in Plakaten eingesetzt. Zwei Gegenstände, die im gleichen Verhältnis zum menschlichen Augenabstand angeordnet sind, können das Gefühl hervorrufen, dass wir angeschaut werden. So wie die Plakatkampagne von Mc Donalds. Auf zwei nebeneinander hängenden Plakaten ist jeweils ein Hamburger abgebildet. Im Zusammenspiel wirken die beiden Hamburger wie Augen, die vor allem dann aktivieren, wenn gleichzeitig Hunger verspürt wird.
Ein eindrucksvolles Plakat ist die Ankündigung der Ausstellung über Erdställe. Aus der Entfernung wird deutlich ein Augenpaar erkannt. Beim näheren Betrachten stellen die vermeintlichen Augen dokumentarische Szenen der Ausgrabung dar.
Autoscheinwerfer werden von uns ebenfalls als Augenpaar erkannt. Diese Art von „Raubtier“ bewegt sich hauptsächlich auf Straßen. Solange wir selbst uns nicht auf Straßen bewegen, droht auch keine Gefahr. Wir sind uns jedoch der möglichen Gefährdung von entgegenkommende Autos bewusst. Dies wird im folgenden Plakat der Verkehrswacht in Abbildung 8 verdeutlicht. Die rot markierten Buchstaben in dem Plakat ergeben das Wort „Enge“. Häufig wird stattdessen das Wort „Engel“ erkannt. Diese Verwechselung deutet daraufhin, dass die Gefährlichkeit des Straßenverkehrs nicht unterschätzt wird.
Einen wesentlich höheren Aufmerksamkeitswert erzeugen Gesichter, die aus dem Bild blicken. Sind die Augen des Fotomodells direkt auf die Kamera gereichtet, so entsteht sogar der Eindruck, dass wir immer angeschaut werde, egal, wo wir uns gerade befinden. Dieser Effekt der Zentralperspektive wird seit der Renaissance angewendet.
Wie häufig werden diese Art von Fotografien in Plakaten eingesetzt? Sie, werter Leser, werden sehr wahrscheinlich ganz erstaunt sein, wenn Sie beim nächsten Spaziergang in der Stadt oder im Bahnhof bewusst nach solchen Plakatmotiven Ausschau halten. Die überwiegende Mehrzahl von Werbeplakaten oder Bannern beinhaltet als Hauptmotiv ein auf uns blickendes Gesicht. Ein derartiges Motiv soll den Betrachter durch die aktivierende Wirkung des direkten Blickes auf ihn wirkungsvoll ansprechen. Soweit die Theorie.
Es kommt jedoch ein weiterer Effekt zur Wirkung: die Gewöhnung. Nehmen solche künstlichen Blicke den öffentlichen Raum für sich ein, so kann zu Beginn einer Kampagne die gewünschte Aufmerksamkeit durchaus kurzzeitig erzeugt werden. Nach einiger Zeit werden die Blicke jedoch zur Normalität. Denn durch die Erfahrung, dass diese Blicke lediglich bedrucktes Papier sind, gewöhnen wir uns daran und beachten sie kaum noch. Es kann sogar sein, dass eine Überwachungskamera (gewissermaßen ebenfalls ein Auge) eher auffällt als die gesehenen Plakate. Und so schwächt der Gewöhnungseffekt die aufmerksamkeitsfördernde Wirkung drastisch ab.
Das Ende!
Achtung, hinten links, ein Schatten, eine leichte Bewegung, unmerklich, zwei weiße Punkte blitzen kurz auf, ES denkt: "Eigentlich muss ich nur noch ein bisschen warten. Waschmittel, Burger, Sü.igkeiten lassen die Gefahr vergessen. - Und dann wird es viel einfacher."
Seine drei weiteren Köpfe nicken zuversichtlich …