Heimat ist da, wo man verstanden wird

13.11.2013

Fernab von bayerischer Neo-Heimattümelei und Oktoberfestfasching sucht Matthias Hofbauer in seiner Bachelor Thesis mit dem Titel »Hoamat«, einen authentischen, zeitgemäßen Zugang zu lokaler/regionaler Tradition. Grund: Er liebt seine Heimat Bayern und die Bayerische Mundart.


Isaak Cissé, Kurzfilm »Hoamat«, 2013 »Da Bayer, der sagt ganz wenig, aber der sogt a wiedrum zvui, … was der sogt, des hod inhaltlich so viele Bedeutungen. Des is ja des, der sogt ganz wenig, zum Beispui, wenn er sogt »Oha«. [1]

Sich dem Thema Heimat und Bayern sensibel und konstruktiv zu nähern bedeutete für Matthias Hofbauer eine Gratwanderung abseits von gemütlich-idyllischem Heimatkitsch auf der einen Seite und dessen zynisch-ironischer Verballhornung auf der anderen Seite. Er realisierte für seine Abschlussarbeit einen dokumentarisch gefärbten Kurzfilm in Interviewform, mit dem Ziel, einem im Wandel befindlichen, zeitgmäßen Heimatbegriff gerecht zu werden.
»Bei der Wahl der Akteure wurde bewusst darauf Wert gelegt, [eine] komprimiert […] breite Palette an bayerischen Individuen zu zeigen. Die drei [Protagonisten] stehen keineswegs stellvertretend für die gesamte Bevölkerung Bayerns, trotzdem geben sie einen interessanten Einblick in die Auffassung von Lebensgefühl und Heimatbegriff.« [2]

Dramaturgisch lässt sich in Matthias Hofbauers Kurzdoku der Einfluss von Andrew Zuckermans Videoinszenierungen erkennen, indem er den porträthaften Charakter der Darsteller vor neutralem weißen Hintergrund inszeniert. Die wechselnden Kameraeinstellungen: Amerikanisch, Nahe, Totale und Closeup arrangierte er über vier getrennte DSLR-Kameras, um sowohl den Gesamteindruck, als auch die Gestik und Mimik der Darsteller multiperspektivisch zu erfassen.
Die in den HD-Videoporträts fast hyperrealistisch anmutende Performanz der Protagonisten erfährt über den neutralen weißen Hintergrund und Umgebungsraum einen kontrapunktischen Inszenierungscharakter, der die Akteure einer stereotyp-örtlichen Zuweisung entzieht. Die Fokussierung auf eine konzentrierte Erzählhaltung, abseits eines naturalistischen Lebensumfeldes, fördert einen überindividuellen beseelten Dialogcharakter. Heimatfindung wird zu einem beweglichen Modell einer offenen Raumorientierung – Heimat kann neu gewonnen werden.

Die Protagonisten:

Isaak Cissé

»Der gebürtige Senegalese Isaak Cissé, 58, ist hauptberuflich Taxifahrer in München. Vor 37 Jahren zog ihn seine Leidenschaft zu seinem Lieblingsverein, dem FC Bayern München, in die bayerische Landeshauptstadt. Kennzeichnend für seine Person ist ein authentisches bayerisches Bewusstsein, das ihm mittlerweile sogar einige Bekanntheit in den Medien beschert hat. In kurzen Zusammenfassungen und in echtem Bairisch kommentiert Isaak Cissé in Blickpunkt Sport, einem Fernsehformat des Bayerischen Rundfunks, Geschehnisse rund um den FCB. Die Einspieler zeigen dabei vor allem seine Liebe zu dem Verein, allerdings weniger, dass er sehr interessante Ansichten zu seiner Wahlheimat hat. Dies hat Isaak in einem im Rahmen der Bachelorarbeit bereits durchgeführten Interview beeindruckend zur Schau gestellt. Seine Auffassung von Dialekt und Kultur ist dabei stark heimatlich geprägt. Das macht Isaak Cissé zu einem sehr wertvollen Interviewpartner, der sicherlich einige interessante Sichtweisen zu Bayern und dem Heimatbegriff preisgeben kann.« [3]


»I hab meine Bekannten, deutsche Bekannte, Freunde auch aus Deutschland, aus München, aus Bayern, aus Niederbayern, i hab aber auch meine Senegalesen auf der anderen Seite als Freunde und Bekannte. Und des kann ma geschickt, also, do kann ma mit dene dandln. Aiso do gibt‘s koa ne Probleme, Wenn i bei dene bin, do bin i a Münchner, do bin i a Bayer, wenn i do bin, do bin i a Senegalese.« [4]

Maria Haindl

Maria Haindl, 79, ist auf dem Land geboren, aufgewachsen und Zeit ihres Lebens dort geblieben. Die Stadt sei ihr zu hektisch, sie arbeitet gerne in ihrem kleinen Gemüsegarten und verbringt ihre Zeit mit ihren zahlreichen Nichten und Neffen, da sie selbst kinderlos ist. Die rüstige Rentnerin stammt aus einer Großfamilie mit acht Geschwistern, wobei sie neben einer Schwester eine der letzten Verbliebenen ist. Maria Haindl zeigt den ruralen Aspekt Bayerns, wie er authentischer kaum sein kann. Ihr Dialekt und ihre manchmal bissige, aber immer liebenswürdige Ausdrucksweise unterstreichen die Echtheit ihres Wesens, wie sie nur von einer Person vom Land ausgestrahlt werden kann. Ihre Ansichten und ihre Person stehen im Widerspruch zu den anderen Interviewpartnern, da sie als einzige in Bayern gebürtig ist und stark von der ländlichen Seite Bayerns geprägt ist. Somit wird Maria Haindl zu einem interessantem Interviewpartner, deren Aussagen möglicherweise im Kontrast zu den Ansichten der anderen beiden Befragten stehen werden.« [5]

Heimat ist da, wo man verstanden wird


»Aiso was ich immer so als des typisch Bayerisch sehe, is des, […] aiso wenn etwas schee is, dann is‘ hoid schee, und dann muss das a ned anders sei, ge, aiso, solangs ›schee‹ is‘ is‘ hoid schee«. [6]

Hagen Ulbricht

»Hagen Ulbricht, 22, vertritt die junge Generation in der Interviewreihe. Obwohl er nicht in Bayern gebürtig ist, sondern erst im Alter von 13 Jahren mit seinen Eltern aus dem Rheinland nach Dachau zog, sieht er sich als Bayer. Besonders eindrucksvoll zeigt sich sein Wesen: Hagen war schon früh in der Punkszene unterwegs und engagierte sich politisch. Jetzt ist er wohnhaft in München und studiert Politikwissenschaften. Zudem ist Hagen homosexuell, eine Orientierung, die in Bayern vor allem im ländlichen Bereich noch mit Vorurteilen zu kämpfen hat. Er überspitzt seine Verhaltensweise gerne humorvoll, um die Leute mit dieser Thematik zu konfrontieren, weshalb er sich gelegentlich gerne als Drag Queen verkleidet. Er sucht geradezu die Konfrontation mit eingefahrenen Klischees und Tabus. Hagen präsentiert ein extrovertiertes Wesen, ein junger Szenemensch, der sicherlich interessante Ansichten zu der Thematik beitragen kann.« [7]

Hagen 1


»Mia san mia? An total bescheuerten Lokalpatriotismus, den ich nicht stütze, des is so… Also ich solodarisier mich da meistens so mit Gruppen und Menschen die mir was taugen, aber es einfach mal so schwammig über die Herkunft zu machen, find ich´n bisschen doof.« [8]

 

Dem durch die Globlisierung hervorgerufenen »großen Heimweh« stellt Matthias Hofbauer in seiner Kurzdoku einen weltoffenen toleranten Heimatbegriff entgegen, fernab von wertkonservativem Biedermeiertum. Sein Fazit fällt folgendermaßen aus: »Auf die Frage ›Was ist Heimat?‹ ist nicht leicht eine Antwort zu finden. Bemerkenswert ist, dass es zu dem Wort kaum ein Synonym gibt, das nicht sofort von regionalen Faktoren gekennzeichnet ist. Trotzdem hat sich in den Befragungen gezeigt, dass Heimat überwiegend als Gefühl verstanden wird, das durch bestimmte örtliche … [Aspekte] erweitert wird. Diese [Gefühle] wechseln mit der Zeit und stellen sich nach einer bestimmten Zeit, die man an diesem Ort verbracht hat, gegebenenfalls ein. Somit ist es möglich, auch mehrere Heimaten zu haben, gesetzt des Falles, dass man sich an dem entsprechenden Ort wohl fühlt, wie Isaak Cissé das eindrucksvoll demonstriert.« [9]

[1] Isaak Cissé, Kurzfilm »Hoamat«
[2] Matthias Hofbauer, Konzeption »Hoamat«, S. 54
[3] Ebenda, S. 56
[4] Isaak Cissé, Kurzfilm »Hoamat«
[5] Matthias Hofbauer, Konzeption »Hoamat«, S. 59
[6] Maria Haindl, Kurzfilm »Hoamat«
[7] Matthias Hofbauer, Konzeption »Hoamat«, S. 59
[8] Hagen Ulbricht, Kurzfilm »Hoamat«, S. 60
[9] Matthias Hofbauer, Konzeption »Hoamat«, S. 93