Mode zwischen Originalität und Reproduktion
25.08.2014
Die Adaption von künstlerisch-konzeptionellen Inszenierungspraktiken für Marketingstrategien in der Mode wird am Beispiel der Mode des französischen Couturiers Paul Poiret zu Beginn des 20. Jahrhunderts dargestellt. Über die Inszenierungsformen hinaus wird die Eigenheit von Mode zur Anschauung gebracht, die auf dem Prinzip der Nachahmung basiert die sowohl deren Dynamik und Vorwärtsstreben bestimmt wie auch deren unaufhaltsamen Verfall. Ausgehend von originären Produktionsformen in der Mode werden Imitationen und Reproduktionen als zwangsläufige Folge einer populären Mode betrachtet, die als Indiz ihrer Relevanz gelten, letztlich aber auch die Endlichkeit einer Mode – eine der Mode ebenfalls immanente Eigenheit – bedingen.
Ausgangspunkt der folgenden Betrachtung ist der Essay „Originalität, Reproduktion und Kunst in der Mode“, verfasst von der amerikanischen Kunsthistorikerin Nancy J. Troy der in der Zeitschrift „Texte zur Kunst“ mit dem Titel „Mode“ im Dezember 2004 in deutscher Sprache veröffentlicht wurde. Am Beispiel des Couturiers Paul Poiret werden zwangsläufige Verbindungen in der Mode – die Autorin spricht von ‚Logik in der Mode’ –, die auf dem Spannungsverhältnis von Originalität und Reproduktion basieren, reflektiert. Die Prinzipien und Eigenheiten der Mode und der Haute Couture sowie das Werk des Couturiers Paul Poiret, der die Haute Couture zu Beginn des 20. Jahrhunderts maßgeblich geprägt hat, sind der Schwerpunkt dieser Betrachtung. Zur Erläuterung wird zunächst die Entwicklungsgeschichte der Haute Couture dargelegt und der Couturier Paul Poiret vorgestellt.
Zur Geschichte der Haute Couture
Als Gründer der Haute Couture – französisch für ‚gehobene Schneiderei’ – gilt der Engländer Charles Frederick Worth, der Mitte des 19. Jh. das erste große Modehaus in Paris gründete (Wisniewski 1996: 119). Mit Worth kam es zur Unterscheidung zwischen dem unbekannten Schneider, der als reiner Handwerker die Kleidervorstellungen seiner Kundinnen verwirklichte, und dem gestalterisch tätigen Couturier, der namentlich bekannt war. Erst nach Worth ist die kreativ-künstlerische Fähigkeit eines Couturiers maßgeblich (Loschek 2007: 154) und das jeweilige Kleidungsstück zeichnet sich durch die unverkennbare Handschrift eines Couturiers aus (Mitford 1986: 10ff). Worth präsentierte halbjährlich neue Kollektionen, die er von Mannequins vorführen ließ und aus denen seine Kundinnen eine Auswahl trafen. Die Modellkleider waren Vorlage für das maßgeschneiderte Couture-Kleid der Kundin (Lehnert 2003: 114). Er war der erste Couturier, der an den Entwurf und die Konstruktion der Kleidungsstücke künstlerische Maßstäbe anlegte. Von ihm stammt der Ausspruch: „Eine Taille von mir, ist ein Gemälde wert“ (Taine zitiert nach Loschek 2007: 28). Nach Worth waren es Paul Poiret und Jacques Doucet, die die künstlerische Reputation des Couturiers weiter festigten (Mitford 1986: 22).
Zur Person Paul Poiret
Paul Poiret wurde 1879 als Sohn eines Kleiderhändlers in Paris geboren, seine künstlerischen Fähigkeiten wurden während einer Schirmmacherlehre bemerkt. Er galt als „erste wahre Modeberühmtheit“ unter den Couturiers seiner Zeit. Bevor Poiret 1904 sein eigenes Couture-Haus gründete war er für Doucet und Worth tätig (Milbank 1986: 75f). Er war bekannt für eine überbordende Fantasie und eine außergewöhnlich extrovertierte Persönlichkeit, die er umfassend in vielen künstlerischen Bereichen zum Ausdruck brachte (Milbank 1986: 75).
Poirets Mode wurde bekannt durch eine gerade, körperumspielende Silhouette im Empirestil, die er korsettlos – zur damaligen Zeit eine Sensation – präsentierte. Er entwickelte seine Mode in zwei Richtungen. Einerseits waren seine Entwürfe geprägt von klassizistischer Schlichtheit mit einfachen Mustern und Kleidformen in brillanten, klaren Farben und mit minimalen Verzierungen. Anderseits war er besonders begeistert von den exotisch-kunstvollen Kostümen des Ballettensembles ‚Ballets Russes’, die zu Beginn des 20. Jh. in Paris auftraten, und ihn zu einer Orientmode inspirierten. 1913 wurde in Paris das Theaterstück „Le Minaret“ mit Kostümen von Poiret uraufgeführt. Große Aufmerksamkeit gewannen luxuriöse Tuniken und schmale Röcke, zu denen neue Formen in Lampenschirmsilhouette getragen wurden, sowie Rockhosen im Stil der Haremshosen. Es gelang Poiret, diese avantgardistisch anmutenden Bühnenkostüme im Orientstil in eine alltägliche Mode zu transformieren (Milbank 1986: 78f).
Ebenso wie Poiret als avantgardistischer und einflussreicher Couturier bekannt wurde, gelang es ihm zunächst auch, sich als erfolgreicher Unternehmer zu etablieren. Seine Geschäftsbemühungen weitete er auch auf den amerikanischen Markt aus. Zudem war er an der Gründung des „Chambre Syndicale de la Couture Parisienne“ beteiligt, einer Interessenvertretung zum Schutz der Schneiderkunst in Paris. Neben dem Couture-Haus gründete Poiret zwei weitere Unternehmen: „Les Ateliers de Martine“ und „Parfume de Rosine“. Poiret gilt als der erste Couturier, der neben seinen Couture-Kreationen ein Parfüm anbot (Lehnert 2003:118f). 1925 musste Poiret sein Unternehmen verkaufen und konnte sich weder als Couturier noch in anderer Weise beruflich neu etablieren. Er starb 1944 völlig verarmt und vereinsamt in Paris (Milbank 1986: 84).
Die Adaption von künstlerisch-konzeptionellen Inszenierungspraktiken für Marketing-Strategien in der Mode
Die Inszenierungsaktivitäten Poirets werden dargestellt am Beispiel der Inszenierung von Couture-Kreationen im Minarett-Stil, eine am Orientstil angelehnte Kollektion, inspiriert von dem Theaterstück „Le Minaret“, das 1913 in Paris uraufgeführt wurde und für das Poiret die Kostüme verantwortete (Troy 2004: 47). Inszenierungen wie das Kostümfest „Tausendundzweite Nacht“ im Couture-Haus Poirets hatten den Charakter von Modenschauen in einem orientalisch-luxuriösen Ambiente (Troy 2004: 49). Ebenso stellten die theatralisch inszenierten Präsentationen im Orientstil in den amerikanischen Warenhäusern während einer PR-Reise Poirets durch Amerika, sechs Monate nach der Premiere von „Le Minaret“, Adaptionen einer Theaterinszenierung dar, denen aber der Charakter und Zweck einer Modenschau zu eigen war (Troy 2004: 50). Im Gegensatz zu den elitär-privat anmutenden Veranstaltungen in seinem Pariser Geschäftshaus für eine kleine Pariser Oberschicht fanden in Amerika die Modeinszenierungen in großen Sälen der Warenhäuser statt, die auch zahlreich von Kundinnen aus der Mittelschicht besucht wurden. Mit dem Ziel, einen möglichst weiten Kundenkreis zu erreichen, zählte es traditionell zur Marketingstrategie der amerikanischen Warenhäuser, über kulturelle Veranstaltungen – also die Präsentation von Kunst und die Inszenierung von Theaterstücken – Kundinnen anzulocken. Hier überschnitten sich die Strategien von Poiret mit denen der amerikanischen Warenhäuser. Die ‚theatralischen Praktiken’ von Warenhäusern in Amerika, in denen die Präsentation der Waren eingebettet war, galt als gängige Praxis. Insbesondere ‚orientalische Themen’ waren zu dieser Zeit stark nachgefragt und wurden bevorzugt für Werbekampagnen eingesetzt, da sie Sinnlichkeit und Luxus suggerierten und darüber Konsumentenwünsche weckten (Troy 2004: 52f).
Anhand der beschriebenen Inszenierungen – orientiert am Theaterstück „Le Minaret“ – macht die Troy vergleichbare Vermarktungsstrategien sichtbar, die Poiret an verschiedenen Märkten anwendete: zum einen privat anmutende Kostümfeste in seinem Pariser Couture-Haus für eine elitäre Kundschaft und zum anderen massenkompatible Modenschauen in amerikanischen Warenhäusern, die ein möglichst breites Spektrum amerikanischer Konsumentengruppen ansprechen sollten. In beiden Sphären wurden sozusagen über die Aura des Kulturellen und Künstlerischen Strategien generiert, die einerseits der Stärkung des künstlerischen Gesamtkonzeptes dienten und andererseits der Förderung der Vermarktung. In beiden Fällen lag die thematisch-künstlerische Konzeption des Theaterstückes „Le Minaret“ als Reproduktionsvorlage zugrunde. Nancy J. Troy betrachtet die thematischen Modenschauinszenierungen in Poirets Couture-Haus in Paris oder im Rahmen amerikanischer Warenhäuser während Poirets Amerikareise als Adaptionen eines künstlerisch-konzeptionellen Originals für die ökonomische Sphäre und erläutert damit das Hauptthema ihres Textes - das Spannungsverhältnis von Original und Reproduktion in der Mode.
Vom Original zur Reproduktion – von der Haute Couture zur Massenware
Das große Medieninteresse während Poirets Amerikareise und die PR-Veranstaltungen vor großem Publikum beförderten seine Bekanntheit in Amerika und sorgten für eine große Nachfrage nach seinen Modellen. Die Angebote in den Warenhäusern bezogen sich auf die Minarett-Mode von Poiret, waren aber oft Kopien seiner Originale sowie Modelle, die seinen Stil imitierten und die zu deutlich günstigeren Preisen verkauft wurden. Ebenso trugen zum Kauf angebotene Modelle gefälschte Markenetiketten mit dem Namen Paul Poiret. Dass zu dieser Zeit – zu Beginn des 20. Jh. – unautorisierte Imitationen von Haute Couture Modellen mit gefälschten Markenetiketten von französischen Haute Couture-Häusern in Amerika im Umlauf waren, war ein bereits bekanntes Problem. Troy zitiert eine Reportage aus dieser Zeit, die sich diesem Problem widmete und in der die man eine Zahl von Kleidern und Accessoires mit gefälschten Etiketten auf zweieinhalb Millionen geschätzt wurde. Man ging davon aus, dass die Anzahl der Kleidungsstücke mit einem echten Etikett sehr viel geringer und ‚kaum nennenswert’ war (Troy 2004: 53f).
Zu dieser Zeit war es in der Haute Couture durchaus üblich, dass sogenannte „Originalkopien“ an ausländische Produzenten von Massenware verkauft wurden oder an ausgewählte Händler mit einem exklusiven Sortiment, die „Reproduktionen“ oder „Adaptionen“ der Originale von namhaften Couturiers verkauften. Das Geschäft mit hochwertiger Markenkleidung basierte auf der „ausgewogenen“ Geschäftsbeziehung zwischen Couturiers und Produzenten. Auf der einen Seite stand also der hoch angesehene Couturier, der exklusive Mode in einem sehr anspruchsvollen Rahmen präsentierte und darüber für die Verbreitung der Mode sorgte. Insbesondere die aufwändig inszenierten Veranstaltungen, die den Modepräsentationen à la Poiret einen kulturellen Rahmen gaben, konnten nur durch den Verkauf der exklusiven Haute-Couture-Modelle der Couture-Häuser selbst finanziert werden, und es war notwendig über den Verkauf von Originalmodellen an weiterverkaufende Produzenten das Couture-Geschäft zu finanzieren. Auf der anderen Seite standen die Produzenten, die aufgrund der bereits eingeführten Mode und des positiven Images der Couturiers kein Absatzrisiko eingehen mussten und aufgrund dessen Kleidung kostengünstig in Serie fertigen konnten (Troy 2004: 56). Im beschriebenen Zusammenhang am amerikanischen Markt wurden diese Praktiken zum Großteil nicht eingehalten. Es wurden im Wesentlichen unautorisierte Kopien auf den Markt gebracht, an denen die Couturiers nichts verdienten.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Poiret am amerikanischen Modemarkt die Konsequenzen seines eigenen schöpferisch-kreativen Erfolgs und die Eigenheiten von Mode zu spüren bekam. Poiret hatte sich in Paris erfolgreich als äußerst angesehener Couturier etabliert. Seine avantgardistischen Modeideen wurden mit höchstem Luxus assoziiert und seine Kunden zählten zu den gehobenen, elitären Pariser Gesellschaftskreisen. Poirets Name stand für modische Innovation und höchstes Prestige (Troy 2004: 57). Laut Ingrid Loschek ist die Kopie die selbstverständliche Folge einer „vestimentären Innovation“ und sie tritt auf, sobald diese als solche erkannt wird (Loschek 2007: 155). Das heißt also, Kopie und Imitation am Modemarkt sind Merkmal und Indiz einer modischen Innovation sowie einer Mode mit hohem Identifizierungspotenzial und bedingen die Verbreitung einer Mode am Modemarkt. Bezogen auf Poiret stellten die massenhaften Kopien am amerikanischen Markt die Folge seines Erfolgs in Paris dar. Die zunehmende Verbreitung der Mode beförderte zwar einerseits seine Popularität und es gab eine große Nachfrage nach einer Mode im Minarett-Stil, aber anderseits gefährdete genau diese Verbreitung die Mode selbst ¬ – und folglich auch die Existenz des Couturiers –, da eine Mode durch massenhafte Verbreitung das Potential verliert, Distinktion demonstrieren zu können und damit auch die Stellung des Couturiers an Bedeutung verliert (Troy 2004: 57 und 60).
Zur Logik in der Mode
Anhand der Betrachtung der Ereignisse am amerikanischen Modemarkt zu Beginn des 20. Jahrhunderts lassen sich wesentliche Eigenheiten von Mode veranschaulichen. Das Wesen der Mode basiert auf dem Prinzip der „Nachahmung eines gegebenen Musters und genügt damit dem Bedürfnis nach sozialer Anlehnung“. Gleichzeitig befriedigt Mode aber auch das „Unterschiedsbedürfnis, die Tendenz auf Differenzierung, Abwechslung, Sich-Abheben“ (Simmel 1986: 181). Es gehört also zum Wesen der Mode, einem vorgegebenen Muster oder einem idealen Bild nachzueifern, um zum einen soziale Anpassung und Zugehörigkeit zu erleben, aber gleichzeitig auch Individualität zu demonstrieren. Wenn aber eine Mode durch immer mehr Gruppierungen innerhalb einer Gesellschaft angenommen und nachgeahmt wird, erfährt diese Mode zwar einen hohen Verbreitungsgrad, verliert aber auch gleichzeitig ihr Potenzial zur Distinktion, da es nicht mehr möglich ist, sich über diese Mode abzuheben oder zu differenzieren. Eine Mode verliert also ihren Status als aktuell relevante Mode bzw. löst sich als Mode auf, wenn sie einen so hohen Verbreitungsgrad entwickelt hat, dass sie eine ihrer wesentlichen Funktionen, nämlich die Funktion der Abgrenzung nicht mehr erfüllen kann. Elena Esposito illustriert diesen Auflösungsmechanismus in der Mode wie folgt: „Sobald sich die Mode mit sich selbst beschäftigt oder im vollem Maße verwirklicht, neigt sie zur Selbstauflösung. Diese fatale Tendenz ist selbst ihren Prämissen implizit: Die Suche nach Neuheit und Distinktion und allgemein das Streben nach Abweichung halten ihrer Verbreitung nicht stand. In dem Moment, in dem Abweichung zur Normalität wird, büßt sie ihr Wesen ein; … Vor allem dank massenmedialer Wirkung tendiert die Mode zur maximalen Ausbreitung; sollte diese aber erreichen, würde sie sich selbst auflösen: Sobald die Gesamtheit einer Gruppe sich den Vorschriften der Mode fügt, kann die Mode den Bedarf nach Distinktion, der sie kennzeichnet, nicht mehr erfüllen.“ (Esposito 2004:16) Dazu auch Georg Simmel: „Das Wesen der Mode besteht darin, dass immer nur ein Teil der Gruppe sie übt, die Gesamtheit sich aber erst auf dem Wege zu ihr befindet. Sobald sie völlig durchgedrungen ist, das heißt, sobald einmal dasjenige, was ursprünglich nur einige taten, wirklich von allen ausnahmslos geübt wird, wie es sich bei gewissen Elementen der Kleidung und der Umgangsformen der Fall ist, so bezeichnet man es nicht mehr als Mode.“ (Simmel 1986: 187) Legt man diese Betrachtungen nun an das Beispiel Paul Poiret an, dann stellten die Haute Couture-Kreationen im Minarett-Stil den Ausgangspunkt einer Mode dar, die am amerikanischen Markt – zusätzlich begünstigt durch die Vermarktungsaktivitäten der amerikanischen Warenhäuser – einen enormen Verbreitungsgrad erreichten, damit aber gleichzeitig und zwangsläufig auch Gefahr lief, das Potenzial einer bedeutungsvollen Mode zu verlieren.
Nun lässt sich ein Haute-Couture-Modell als Original von besonderer handwerklicher und gestalterischer Güte klassifizieren, d.h. jeder Modellentwurf ist einzigartig und wird als Maßanfertigung für eine Kundin realisiert (Wisniewski 1996: 119). Aufgrund dieser Einzigartigkeit stellt das Haute-Couture-Modell ein ausgezeichnetes Medium dar, sich abzuheben. Es erfüllt damit aber auch die wichtigen Kriterien der Originalität und Neuheit, um sich als eine modische Innovation zu bewähren. Und obwohl die Haute Couture auf dem Konstrukt der Originalität basiert, ist die Kopie der Struktur der Haute-Couture inhärent. Denn eine Haute-Couture-Kreation ist „nie einmaliges Original, sondern stets eine Kopie (…), eine Reproduktion nach einem Grundmodell, die der Größe und Statur der individuellen Käuferin angepasst wurde“ (Troy 2004: 46). Das heißt also, das Haute-Couture-Original ist kein Original im eigentlichen Wortsinne mehr, sondern auch schon die Kopie eines Vorläufermodells. Wie bereits genannt, ist das Prinzip der Nachahmung eine wesenhafte Eigenheit der Mode; es evoziert die Nachahmung eines Originals, also die Kopie zum Original. Die daran anschließende übermäßige Vervielfältigung und Ausbreitung einer Mode führt aber zwangsläufig zur Auflösung dieser sowie auch jeder nachfolgenden Mode. Denn auch die dann aufkommende neue Mode neigt ebenso dazu, adaptiert zu werden. Es ereilt sie also das gleiche Schicksal wie die Mode, die sie abgelöst hat (vgl. Esposito 2004: 21). Diese zerstörerische Neigung und der daran anschließende immerwährende Wechsel der Moden charakterisieren Mode grundlegend und nehmen ihren Ausgang in einer auf Originalität und Einzigartigkeit ausgerichteten sowie nach Innovation strebenden Konstruktion, wie dies auch einem Haute-Couture-Modell zu eigen ist.
Die im Text dargestellte Entwicklung der Minarett-Mode vom Haute-Couture-Original zur Massenware am amerikanischen Modemarkt veranschaulicht also wesenhafte Prinzipien in der Mode, die von Troy als Logik der Mode benannt werden und die auf der Wechselbeziehung zwischen Original und Reproduktion basieren.
Zerstörerische Mechanismen in der Mode
Abschließend lässt sich resümieren, dass es Poiret nicht gelang, die enorme Popularität seiner Person und der Minarett-Mode in Amerika zu steuern und für seine Zwecke zu nutzen, d.h. sein Anliegen, den amerikanischen Modemarkt für seine Haute Couture-Kreationen zu gewinnen, scheiterte, ohne dass Poiret finanziell von der großen Nachfrage nach Produkten im Minarett-Stil profitierte (Troy 2004: 57). Im Gegenteil: Es liegt vielmehr die Vermutung nahe, dass der Versuch, sich am amerikanischen Modemarkt zu etablieren, seinem Künstlerimage geschadet hat. Die Kopien und Imitationen am amerikanischen Markt entsprachen nicht der Qualität und gestalterischen Höhe seiner Entwürfe und repräsentierten auch nur einen Ausschnitt seines Spektrums als Couturier (Troy 2004: 50).
Die massenhaften Kopien und Imitationen am amerikanischen Markt stellten nicht nur eine Gefährdung der Interessen Paul Poirets dar, sondern waren insgesamt eine ernsthafte Bedrohung der französischen Haute Couture (Troy 2004: 56). Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurde die kostenintensive Haute Couture zunehmend eingestellt und durch effektivere Produktionsformen in der Pret-à-porter ersetzt (Mitford 1986: 16). Das Konzept der Haute Couture, basierend auf Individualität, Originalität und Authentizität in Verbindung zu Künstlerhabitus und kulturell ambitionierten Präsentationsstrategien, wie Poiret es pflegte, abgestimmt auf die kulturellen Bedürfnisse „der wohlhabenden und aristokratischen französischen Elite“ von Paris, ließ sich nicht in den Kontext der amerikanischen Mittelschicht übertragen (Troy 2004: 60f). Innerhalb der – von Industrialisierung und Massengüterindustrie dominierten – modernen Gesellschaftsform in Amerika sowie im Rahmen von allgemeinen Demokratisierungstendenzen war es immer mehr Menschen möglich, an den Bewegungen der Mode teilzunehmen; Mode verlor ihren elitären Charakter. Es spielten also Vervielfältigungs- und Vermarktungsstrategien der Industrie in Amerika eine wesentliche Rolle für die massenhafte Ausbreitung der Minarett-Mode. Sie begünstigten die Tendenzen der Mode sich zu verbreiten und infolgedessen die Relevanz als aktuelle Mode zu verlieren.
Am Beispiel der Minarett-Mode des Couturiers Paul Poiret lassen sich verschiedene Formen der Reproduktion im kulturellen Bereich thematisieren. Es wird sichtbar, wie Artefakte und Inszenierungspraktiken aus der Hochkultur zu massentauglichen Produkten oder Warendisplays transformiert werden, d.h. das Haute Couture-Modell dient als Vorlage für massenhaft (re-)produzierte Kaufhausware, aus dem Theaterstück werden theatralisch inszenierte Modenschauen und aus den elitären Kostümfesten in Poirets Geschäftshaus für einen kleinen Kreis aus der Pariser Oberschicht werden alltägliche Massenveranstaltungen in den Festsälen der amerikanischen Warenhäuser. Die Autorin Nancy J. Troy stellt anhand dieser historischen Betrachtungen eines Modestils zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Wechselspiel von Originalität und Reproduktion in der Mode dar, das einen zwangsläufigen Charakter annimmt und – bedingt durch moderne Industrialisierungsprozesse in Amerika – eine „zerstörerische“ Auswirkung auf die Haute Couture hatte.
Literatur
- Esposito, Elena: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden: Paradoxien der Mode, Frankfurt am Main 2004.
- Lehnert, Gertrud: Mode, Köln 2003.
- Loschek, Ingrid: Wann ist Mode? Strukturen, Strategien und Innovationen, Berlin 2007.
- Milbank, Caroline Rennolds: Couture. Glanz und Geschichte der großen Modeschöpfer, Krefeld 1985.
- Mitford, Nancy: Die Dinge zeigen eine Handschrift – dem, der zu sehen versteht, in: Milbank, Caroline Rennolds: Couture. Glanz und Geschichte der großen Modeschöpfer, Krefeld 1985, S. 10 – 23.
- Simmel, Georg: Die Mode, in: Bovenschen, Silvia (Hg.): Die Listen der Mode, Frankfurt am Main 1986, S. 179 – 207.
- Tain, Hippolyte: Note sur Paris. Vie et opinions de M. Frédéric-Thomas Graindorge (Satirische Sittenbilder). Paris 1867, S.56.
- Troy, Nancy J.: Originalität, Reproduktion und Kunst in der Mode – Paul Poirets Minaret-Stil, in: Texte zur Kunst 56, 4 (4), Berlin 2004, S. 44 – 62.
- Wisniewski, Claudia: Kleines Wörterbuch des Kostüms und der Mode, Stuttgart 1996.