Schöne neue Fernsehwelt Netflix & Co. als Bedrohung für das klassische Fernsehen

21.04.2016

„Give people what they want, when they want it, in the form they want it in, at a reasonable price, and they’ll more likely pay it rather than steal it.“2

Einleitung

Personal Programming nennt sich das nicht-lineare, personalisierte Fernsehkonzept von Anbietern wie Netflix. Der von Kevin Spacey angesprochene Trend zur nicht-linearen Fernsehnutzung und zum personalisierten Programm resultiert aus der Digitalisierung audio-visueller Inhalte und ermöglicht branchenfremden Anbietern, innovativ in den Fernsehmarkt einzusteigen. Der Zuschauer als Programmdirektor, Interaktivität und das TV anytime, anywhere sind die Schlagwörter dieser Entwicklung.3

Der aktuelle Video-on-Demand-Markt

Ob Sender, Kabelnetzbetreiber, Technologiefirmen oder Filmproduzenten – Streaming mischt den gesamten Fernsehmarkt auf. Der Blick in die USA zeigt, dass sich die Fernsehindustrie im Umbruch befindet. Aktuell nutzen nur noch 60 Prozent der amerikanischen Haushalte das klassische Fernsehen, während 40 Prozent der US-Bürger, die Fernsehinhalte lieber auf Video-on-Demand-Plattformen rezipieren.4 Das Streaming von TV-Inhalten ist so beliebt, dass schon 9,6 Millionen US-Haushalte das herkömmliche Fernsehen abgeschafft haben. Das sind rund acht Prozent aller Haushalte.5 Cut the Cord (zerschneide das Kabel) heißt der derzeitige Trend in den USA. Vor allem die Altersgruppe der 24- bis 34-Jährigen kündigt die teuren TV-Abonnements und wechselt zu spezialisierten Streaming-Angeboten. Allein im zweiten Quartal 2015 haben 658.000 Fernsehkunden ihren Kabelanschluss gekündigt. Das waren 76 Prozent mehr als noch im Vorjahresquartal 2014.6 Gleichzeitig steigerte Netflix seine Abonnentenzahl auf über 75 Millionen Mitglieder in mehr als 190 Ländern.7 Heute verbraucht Netflix zur Hauptsendezeit bereits 37 Prozent der abendlichen Bandbreite in den USA und ist mit 36 Prozent der Marktführer unter den Video-on-Demand-Anbietern; gefolgt von Amazon Prime mit einem Marktanteil von 13 Prozent und Hulu Plus mit einem Marktanteil von 6,5 Prozent.8 Unter dem Druck der neuen Streaming-Dienste müssen auch die etablierten Kabelanbieter ihre Angebote auf den Prüfstand stellen. Waren US-Amerikaner bislang gezwungen, allein für einen Basic-Kabelanschluss 60 bis 80 US-Dollar monatlich zu zahlen – wobei Premium-Pay-TV-Sender wie Showtime, Nickelodeon und HBO extra hinzu gebucht werden müssen –, setzen diese Anbieter nun vermehrt auf den individuellen Online-Vertrieb ihrer Inhalte. Sie gehen dabei weit über die Wiederholung von bereits ausgestrahlten Shows und Dokumentationen hinaus, und bieten ihre Inhalte im Rahmen eines Abonnementmodells auch Kunden ohne festen Vertrag mit einem Kabelanbieter an. Gleichzeitig haben die herkömmlichen Fernsehanstalten lange Zeit den Streaming-Boom unterschätzt. Viele sahen in Netflix lange nur eine Konkurrenz für die physische DVD-Distribution. Doch mittlerweile ist der Online-Streaming-Dienst Netflix in der amerikanischen Fernsehlandschaft nicht mehr wegzudenken. Andere klassische Geschäftsmodelle, wie beispielsweise im Print-Markt, die auf einen profitablen Mix aus Werbung und dem Vertrieb von Content auf materiellen Trägermedien basieren verdeutlichen, wie herkömmliche Wertschöpfungsketten durch neue Technologien schlagartig in ihren Grundstrukturen erschüttert werden können. Daneben zeigen Shows wie Orange Is The New Black, Transparent und Breaking Bad, dass auch inhaltlich VoD-Serien dem klassischen Fernsehen die Vorreiterrolle streitig machen. VoD-Anbieter investieren immer stärker in eigene Inhalte; wie beispielsweise Netflix in überwiegend zeitgenössische Fernsehserien. Exklusive Eigenproduktionen verschaffen den Anbietern darüber hinaus Unabhängigkeit vom Beschaffungsmarkt. Doch nicht nur die neuen Streaming-Dienste freuen sich über den Boom. Auch Hightech- und Internetkonzerne wie Apple und Amazon treten zunehmend als Konkurrenz zu den bestehenden Anbietern auf. Sie agieren auf dem Markt als Over-the-Top-Anbieter und liefern ihre Inhalte über Empfangsgeräte direkt an den Zuschauer. In diesem System besitzt der Anbieter das größte Monetarisierungs-Potenzial, der Zuschauerinteressen bündeln kann und damit den „talk of the town“ kreiert.9 Wichtig für die klassischen Fernsehanbieter sind die Live-Übertragungen aus dem Sport. Der jährliche Super Bowl ist einer der wenigen Momente, an dem sich ganz Amerika vor dem Fernseher versammelt. Für den Sender verspricht dieses TV-Event Rekordsummen für eine Werbeminute. Doch mittlerweile scheint auch die Nachfrage nach herkömmlichen Übertragungsformaten zurück zu gehen. Auf der neuen Sony Playstation Vue kann man einige der großen Sportkanäle live sehen, Fox und ABC sind mit ihren Inhalten auf der Konsole.10 Auch Apple TV arbeitet an Verträgen mit einem klaren Fokus auf Sport. Hier soll ESPN an Bord sein.11 Indem die großen Sportligen mittlerweile auch mit den Streaming-Diensten verhandeln, müssen sich die traditionellen Fernsehsender im Wettbewerb behaupten, um Sportereignisse künftig überhaupt noch exklusiv zeigen zu können. Die vorangegangenen Beispiele machen deutlich, dass zunehmend ein Wandel in den USA stattfindet. Das zeigen auch die Bewegungen an der Wall Street. Die Aktienkurse von US-Fernsehsendern wie Discovery, 20th Century Fox oder CBS sind in den vergangenen Monaten stark gefallen. Die Investoren wissen: das durch Werbung finanzierte Geschäftsmodell ist auf Dauer nicht mehr tragfähig. Die einzigen Aktien im S&P 50012 , deren Kurse sich 2015 verdoppelt haben, waren die von Netflix und Amazon. Trotz Wirtschaftskrise hat sich der Wert von Netflix seit dem Börsengang im Jahr 2002 im Durchschnitt jedes Jahr fast verdoppelt. Allein letztes Jahr ist der Aktienwert um 135 Prozent gestiegen. Amazon schaffte eine Steigerung von 119 Prozent.

Die Zukunft des klassischen Fernsehens in Deutschland

In Deutschland ist der „Niedergang“ des klassischen Fernsehens noch nicht so deutlich zu erkennen. Der deutsche Fernsehmarkt ist einer der wettbewerbsintensivsten der Welt und kein anderes Land hat solch ein breites Spektrum an frei zugänglichen und zugleich hoch qualitativen TV-Sendern zu bieten. In der Vergangenheit fiel es Pay-TV-Anbietern in Deutschland wesentlich schwerer, angesichts der Dominanz der öffentlich-rechtlichen Sender und der starken Stellung der privaten TV-Anbieter, sich am Markt zu etablieren. Pay-TV galt lange Zeit am deutschen Markt als wirtschaftlich unrentabel. Unter dem Namen Premiere 1990 in Deutschland auf den Markt gekommen, hat sich Sky 2014 erstmals in die Gewinnzone gekämpft. Das liegt auch daran, dass zwischen den amerikanischen und den deutschen Fernsehzuschauern ein grundlegender Unterschied existiert. Amerikaner sind es gewohnt, aufgrund der kleinen Free-TV-Landschaft, für ihre TV-Inhalte zu bezahlen. Doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Internet-TV auch hier das bestehende Geschäftsmodell ablösen wird. Aktuell sind es amerikanische Streaming-Apps, wie Netflix oder Amazon Video, die sich in den deutschen Fernsehmarkt drängen und Streaming-Anbieter wie die ProSieben-Tochter Maxdome, der Schweizer Anbieter Watchever und der Deutsche-Telekom-Ableger Videoload. In der deutschen Gesamtbevölkerung vollzieht sich der Wandel des Medienkonsums langsamer, als oft angenommen wird. Das klassische Fernsehen dominiert nach wie vor die Bewegtbildnutzung. Die junge Zielgruppe adaptiert zwar die neuen Technologien schneller und integriert diese unmittelbar in ihre Mediennutzungsgewohnheiten, dennoch schaltet auch sie überwiegend das Fernsehen ein, statt es durch Angebote wie Video-on-Demand zu ersetzen. Abzuwarten bleibt, wie sich die Fernsehnutzung langfristig entwickeln wird, denn der voranschreitende Breitbandausbau sowie die steigende Anzahl an Kooperationen mit Endgeräteherstellern haben die technologische Voraussetzung geschaffen, audiovisuelle Inhalte aus dem Internet in hoher Qualität zu streamen. Durch die Kombination von Einzelabruf und Abonnement binden sich immer weniger Konsumenten an eine bestimmte Marke. Für Anbieter wie Netflix und Watchever bedeutet das, dass sie ihre Kunden zum Anbieterwechsel zwingen, wenn der gewünschte Film nicht im Sortiment verfügbar ist. Das Geschäftsmodell Subscription-Video-on-Demand hat sich dennoch als erfolgreichstes am deutschen Markt bewährt. Die größte Herausforderung für die Streaming-Anbieter besteht in der Beschaffung von Film- und Serieninhalten, aufwendige Eigenproduktionen der Video-on-Demand-Anbieter schaffen dabei Unabhängigkeit und Verhandlungsmacht gegenüber Lieferanten und die Möglichkeit der globalen Lizensierung. Netflix und Amazon haben mit ihren preisgekrönten Serien bewiesen, dass auch Streamingdienste anspruchsvolle Serieninhalte erstellen können. Für die Anbieter ist diese Strategie der Eigenproduktionen allerdings mit großem finanziellen Aufwand verbunden, der sich aber aktuell auszuzahlen scheint. Abzuwarten bleibt, ob diese Strategie auch langfristig für die VoD-Anbieter erfolgreich ist oder ob es sich bei der aktuellen Entwicklung nur um einen „Hype“ handelt, der wirtschaftlich nicht dauerhaft tragbar ist. In diesem Fall gäbe es für das klassische Fernsehen vielleicht die Chance auf eine Renaissance.

Fußnoten

1 Der folgende Artikel reflektiert ausgewählte Ergebnisse der Bachelorarbeit „Binge On – Eine ökonomische 2 Kevin Spacey in einer Rede beim Edinburgh Television Festival 2013, in: Plunkett/Deans (2013) 3 Vgl. Engel/Breunig (2015), S. 320 4 Vgl. Nielsen (2015) 5 Vgl. Perez (2015) 6 Vgl. Brannon (2015) 7 Vgl. Netflix (2016a) 8 Vgl. Nielsen (2015) 9 Roland Berger (2012), S.3 10 Vgl. Playstation (2016) 11 Vgl. Gaines (2015) 12 Der S&P 500 (Standard & Poor 500) ist ein Aktienindex, der die Aktien von 500 der größten börsennotierten US-amerikanischen Unternehmen umfasst.

Literatur