Designer im generativen Raum II

01.08.2018

The idea becomes a machine that makes art.

Joseph Kosuth: Art after Philosophy and After:
Collected Writings, 1966-1990


Abb. 1: Lars Reiners, meditatio, Performance, 17. März 2016

meditatio, Lars Reiners

meditatio ist eine audiovisuelle Medienperformance. Den Mittelpunkt der Installation bildet der »analoge Mensch«, dessen innere Prozesse (Hirnstromwellen) in digitale Signale umgewandelt und nach außen projiziert werden. Der vermittelnde Code bildet die Schnittstelle. Ziel der Performance ist es, durch Meditation einen Zustand tiefer Ruhe und Konzentration zu erlangen und diesen inneren Wandlungs-Prozess zu visualisieren.
Ein Elektroenzephalogramm (EEG) und ein Pulssensor quantifizieren die Daten des Performers, die dann mittels der objektorientierten Programmiersprache Processing audio-visuell in den Raum projiziert werden. Im Anfangsstadium der Performance entsteht zunächst eine chaotische Ansammlung von Linien. Bei fortschreitender Meditation nähern sich die Linien konzentrischen Kreisbahnen an, bis schließlich im Endstadium ein nahezu perfekter Kreis entsteht, der letztendlich in einem Punkt verschmilzt.

Angeregt wurde Lars Reiners von Zeichenstudien zum Thema Bewegungsspuren aus dem Grundlagensemestern und Medien Performances wie Câmara Neuronal (2012) von João Martinho Moura und Adolfo Luxúria Canibal. Câmara Neuronal ist ein neuro-audio-visuelle Performance die die Interaktion von Darsteller und audiovisuellen ästhetischen Zeichenstrukturen mittels eines neuronalen physiologischen Aufnahmegerätes (EKG) synchronisiert. Bei der räumlichen Inszenierung seiner Idee lies er sich von den minimalistischen Bild- Ton-Szenarien des japanischer Klang- und Videokünstler Ryoji Ikeda und des deutschen Künstlers und Musikers Carsten Nicolai inspirieren.


Abb. 2: Câmara Neuronal (2012), http://jmartinho.net/camara-neuronal/

Projekt »meditatio«: apparativ-softwaretechnische Basis

Brain Computer Interface Epoc+
Epoc+ besitzt 16 Elektroden, 2 für die Kalibrierung und 14 für die Messung. Dabei liegen die meisten Elektroden in der nähe des präfrontalen Cortex. Im Gerät befindet sich ein 9-Axen-Sensor, der die Position des Kopfes im dreidimensionalen Raum exakt bestimmen kann. dadurch kann man z.B. seinen Kopf als Mauszeiger verwenden und einen Computer steuern. Nach ausreichendem Training ermöglicht es die Software sogar, mit seinen Gedanken ein Objekt im virtuellen Raum zu bewegen.

Epoc+ | 14 Channel EEG
Pulssensor
4 Beamer (2 Short Distance Beamer)
EMOTIV Xavier Controlpanel
EMOTIV Xavier Testbench
EMO Composer
EMOTIV Development Kit.
Processing
Black Box


Abb. 3: EMOTIV Epoc+, Testphase

Abb. 4: Planung Medien Performance, Black Box

Abb. 5: Konzept meditatio: Leporello Bindung

Abb. 6: meditatio, Performance, 17. März 2016

»[…] die Impulse sind wie die Kontraktion und Dekontraktionen des Herzens. […] das Gefühl, innerhalb des Kreises zu sein, kann vielleicht mit dem Drang zur Mitte, mit der Suche nach einer mysteriösen Einheit des Lebens gedeutet werden. Im Gegensatz dazu strahlt von der unsichtbaren Mitte ein aktives Leben nach außen […].« (Adrian Frutiger (2004): Der Mensch und seine Zeichen, 10. Auflage. Wiesbaden: Marix Verlag Gmbh. s. 45 – 47)


Abb. 7: Flottierende Kreisbahnen

Abb. 8: Konzentrische Kreisbahnen, intorversiv

Konzentrische Kreise (Mandala) symbolisieren im Zen-Buddhismus die höchste Stufe der Erleuchtung, die Harmonie aller geistigen Kräfte. Das Kreis-Mandela wird zum Meditieren verwendet, da es ein eindeutiges Zentrum, die zentrierende Kreismitte beinhaltet.

1000 Lines go digital, Lars Reiners

Die Arbeit »1000 Lines go digital« von Lars Reiners nimmt zum einen Bezug auf Entschleunigungs-Übungen zu Beginn des Studiums, zum anderen reflektiert sie einen Arbeitszyklus des US-amerikanischen Bildhauers und Malers So LeWitt, einem Vertreter der Minimal Art. So LeWitt konzentrierte sich auf die gedankliche Konzipierung seiner Werke und überließ die Verwirklichung häufig seinen Assistenten, maß dabei der Idee den wesentlichen Anteil an seinen seriellen Projekten zu. Sein zentraler Gedanke: Entmaterialisierung von Kunst, Loslösung vom physischen Werk. Lars Reiners entwickelte in der Erweiterung von So LeWitts Ideen ein alogrithmisches Konzept. Ein von ihm konstruierter Drawing Roboter (Arduino Entwicklungsplattform) zeichnet das vorgegebene Lines-Konzept in seismischen-, norm-oszillierenden Linien-Strukturen – in einem extrem gedehnten Zeitintervall – auf variable Informationsträger.


Abb. 9: Time Lapse of Sol LeWitt's »Wall Drawing #797«, Blanton Museum of Art

Abb. 10: Lars Reiners, 1000 Lines digital, Arduino Drawing Roboter

Drawing Roboter an  Wandsäule im Foyer der MDH, 2016. Bestandteile seines Roboters: Arduino Uno, Motorshield, 2 Steppermotoren, Servomotor, Zahnriemen, Stifthalterung, Processing (Polargraph), Arduino IDE.


Abb. 11: Lars Reiners, 1000 Lines digital, Informationsträger Papier

Fazit:

Lars Reiners realisierte mit seiner Performance, basierend auf einem Brain-Computer-Interface und seinem konstruierten Arduino Drawing Roboter als ausführenden Assistenten seiner Konzeptideen, zukunftsweisende Szenarien erweiterter, direkter Kommunikation. Ihm waren dabei Zeichen-Prozesse wichtig, die auf reduzierten, minimalistischen Formpotentialen basieren, um seiner Arbeit eine essentielle, syntaktische Schärfe zu geben, frei von flottierenden Gedankenmustern.
Ohne seine generalistischen Begabungsmuster als Design-Coder und Techno-Bastler und der Mithilfe eines weiteren Programmierers (Ralf Eggers, Technischer Leiter Media Lab), wären die auftretenden Komplexitäten und Probleme nicht zu meistern gewesen. Erst kurz vor Ende des anberaumten Zeitfensters der Bachelor Thesis lieferte die Firma MOTIV eine funktionierende Version des Epoc+ Neuroheadsets. Grenzüberschreitende Projekte verlangen den Mut und leichten Sinn anders zu Denken, ein Scheitern auf ambitioniertem Niveau in Kauf zu nehmen und den Pragmatismus außergewöhnliche Ideen präzise in den Wahnsinn der Realität einzuhegen.